Orna Donath wirkt zierlich, wie sie da in ihrem romantischen, himmelblauen Kleid auf der Bühne sitzt. Wenn sie redet, lächelt sie. Weniger romantisch klingen jedoch ihre Studien. Die israelische Soziologin interviewte Frauen, die ihre Mutterschaft bereuen. „Nicht ihre Kinder, die lieben sie, aber sie hassen es, deren Mütter zu sein“, so Donath lächelnd. Durch das Publikum im restlos ausverkauften Saal geht ein Lachen. Die Veranstaltung ist gut besucht. Überwiegend von Frauen. In Israel wurde Donath für ihre provokative Studie äußerst scharf kritisiert. Ihr und den bereuenden Müttern wurde Narzissmus vorgeworfen. Warum war der Aufschrei in einer vermeintlich aufgeklärten und emanzipierten Welt so groß? Selbst in Deutschland, einem im Vergleich zu Israel noch viel weltlicherem Land, gab es zum Teil heftigste Reaktionen auf Donaths Erkenntnisse.
Donath vermutet, dass in der Gesellschaft immer noch Reaktionen wie diese erwartet würden: „Ich hasse es, den ganzen Tag Windeln zu wechseln und für mein Kind da zu sein, immer wegstecken zu müssen, aber das Lächeln meines Kindes macht all das wieder wett.“ Bei diesen Müttern gäbe es dieses „aber“ nun einmal nicht. Sie finden einfach grundsätzlich keinen Gefallen an der Mutterschaft und daran, Spucke im Gesicht zu haben oder Scheiße wegzuwischen, auch wenn der Nachwuchs noch so zuckersüß zurücklächelt. Und das ist anscheinend das Tabu. Auch glaubt sie, dass sie persönlich attackiert wird, weil sie nicht nur zum Thema recherchiert, sondern das Nicht-Muttersein selbst lebt. Ihr Körper sei die Verkörperung ihrer Studie.
Ein Grund, weshalb manche Eltern heutzutage unglücklich seien, ist laut Eva Illouz, die sich nun in die Mutterschaftsdebatte einklinkt, der, dass die Familie total privatisiert sei. Es läge in der heutigen Konsumgesellschaft ein immenser Druck auf den Eltern, was sie alles mit ihren Kindern anstellen sollen, damit ihre Zöglinge schon bald nach Harvard gingen. Auch existieren noch immer große Unterschiede zwischen Mann und Frau. Die dreifache Mutter und Soziologin Illouz spricht aus eigener Erfahrung und sagt: „Ich bin Mutter. Ich weiß, was das heißt. Es kann die Hölle sein.“ Wieder geht ein Lachen durch den Raum. Andererseits gewinnt Illouz dem Muttersein gesellschaftlich durchaus auch etwas Positives ab, da es grundsätzlich nichts Schlechtes sei, sich um jemanden zu kümmern, also etwas Soziales zu tun. Für Illouz ist das Unglück einer Elternschaft jedoch kein Wunder: Gerade in einer Zeit, in der Frau und Mann alle Möglichkeiten der Welt haben, ist ein kleines hilfloses Wesen, um jenes sie sich von heute auf morgen kümmern müssen, ganz klar ein Hindernis in der allerorts angestrebten Selbstverwirklichung. Doch, bei allem Verständnis für leidende Mütter stellt Illouz am Ende eine berechtigte Frage: Was will Donath mit ihrer Studie eigentlich bezwecken? Diese antwortet mit einem Lächeln: „,Ich möchte erreichen, dass es mehr Anerkennung für unterschiedliche Lebensmodelle gibt. Dass es für Frauen noch viele andere Wege gibt, als den von der Gesellschaft oft propagierten Weg des Mutterseins, der angeblich zum ultimativen Glück führt. Aber: Ich möchte keiner Frau vorschreiben, wie sie zu leben hat.“
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Theater von und für Frauen
Die BUSC zeigte im Stream das „Femme BUSCival“ – Bühne 03/21
Wie Frauen zu sein haben
Jovana Reisingers zweiter Roman „Spitzenreiterinnen“ – Wortwahl 03/21
#WeSitWithYou
Koreanerinnen erinnern an sexualisierte Kriegsgewalt – Teil 2: Lokale Initiativen
Autorinnen im Fokus
Weltfrauentag im Literaturhaus Köln – Literatur 03/20
„Wenn wir streiken steht die Welt still!“
Frauen*streikbündnis demonstriert am Weltfrauentag – Spezial 03/20
„Feminismus ein Gesicht geben“
Jasmin Mittag über die Ausstellung „Wer braucht Feminismus?“ – Interview 03/20
Revolution und Vulva-Lolly
„Revolt. She said. Revolt again.“ am Freien Werkstatt Theater – Theater am Rhein 03/20
Geheimnisse und Lügen
Rachel Cusks radikaler Bericht über das Mutterwerden – Textwelten 02/20
Schwarzer Feminismus
Natasha A. Kelly stellt ihr Buch in der KHM vor – Literatur 02/20
„Alice Birch verdreht Situationen und Sprache“
Killer&Killer inszenieren das feministische Stück „Revolt. She Said. Revolt Again.“ – Premiere 02/20
Die Gebär-Übermutter und der Philofeminist
„W.H.A.M.“ von c.t.201 an der Studiobühne – Auftritt 02/20
Ausgeliehene Perspektiven
Feministisches Literaturfestival „Insert Female Artist“ – Literatur 10/19
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Nachricht aus der Zukunft
„Deadline für den Journalismus?“ von Frank Überall – Literatur 10/24
Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24
Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24
„Keine Angst vor einem Förderantrag!“
Gründungsmitglied André Patten über das zehnjährige Bestehen des Kölner Literaturvereins Land in Sicht – Interview 10/24
Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24
Krawall und Remmidemmi
Begehren und Aufbegehren im Comic – ComicKultur 10/24
Förderung von Sprechfreude
„Das kleine Häwas“ von Saskia Niechzial, Patricia Pomnitz und Marielle Rusche – Vorlesung 10/24
Frauen gegen Frauen
Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24
Eine neue Tierethik
Maxi Obexer liest im Literaturhaus – Lesung 09/24
Vom Wert der Arbeit
8. Auftakt Festival am FWT – Lesung 09/24