Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme über die Bedeutungsebenen von Wasser – Thema 04/16 Wasserschaden
choices:Wie metaphysisch, wie mythologisch ist der Naturstoff Wasser? Hartmut Böhme: Zu Anfang ist jedes Element – neben Wasser sind das Feuer, Erde und Luft – ein Regime der Götter oder Dämonen. Wir Heutigen haben hingegen nur ein materielles Verständnis von Wasser. Dennoch nehmen wir eine Symbolisierung des Wassers vor, wenn es Bestandteil unserer Erlebnisse, Gefühle, Erwartungen, Hoffnungen oder Befürchtungen wird. Dann bekommt die Materie Wasser so etwas wie eine kulturelle Semantik.
Was ist diese semantische Ebene konkret?
Hartmut Böhme
Foto: Presse
Zur
Person:
Hartmut Böhme (71) ist Kultur- und Literaturwissenschaftler. Er
lehrt seit 1993 an der Humboldt Universität Berlin. Einer seiner
Forschungsschwerpunkte ist die Kulturgeschichte seit der Antike. Bei
Suhrkamp hat er den Band „Kulturgeschichte des Wassers“
herausgegeben.
Alle Dinge der Natur haben erstmal einen materiell physischen oder biologischen Status. Der ist ganz und gar wissenschaftlich konstruierbar. In solchen Kontexten fragen wir nicht nach Bedeutungen. Aber in dem Augenblick, in dem wir Wasser – oder auch andere Dinge wie Erde, Bäume oder Tiere – erleben, werden diese Entitäten der Natur in unseren kulturellen Zusammenhang eingebracht. Das heißt, sie werden mit Bedeutungen aufgeladen, die ihnen nicht als primäre Eigenschaften zukommen. Es handelt sich vielmehr um Eigenschaften, die wir diesen Dingen zuschreiben. Das ist etwas außerordentlich Wichtiges.
Das Wasser als philosophisches Prinzip, wie bei Thales oder Heraklit, ist somit eine Bedeutungszuschreibung? Nein, hier spiegeln sich vielmehr bestimmte Erfahrungen mit dem Medium Wasser wieder, die einer Philosophie zugrunde gelegt werden. Wasser ist etwas, das fließt, veränderlich ist, immerzu neue Formen annehmen kann, überall eindringen oder etwas bewirken kann. Es ist ein allgegenwärtiges Element. Das legt die Idee nahe, Wasser könnte der Urgrund all dessen sein, was wir Leben nennen. Leben ist das Mobile, das, was sich bewegt.
Platon sieht im „ungetrübten Gewässer“ ein Sinnbild für den Staat, in dem alle Quellen und Bäche zusammenfließen. Da ist ein analogisches Denken. Platon setzt den Staat und das Gewässer in Beziehung. Nach dem Prinzip der „Analogia entis“, ist alles Sein mit anderem Sein verwandt. In dem Sinn ist der Staat auch mit dem verwandt, was das Wasser uns zeigt. Wasser ist das, das alles durchströmt. Dadurch ist es zugleich Einheit, Zusammenhalt und Zusammenhang, also Spielarten von Ordnung. Und der Staat bei Platon ist ein Aggregat der Ordnung.
Andererseits, wenn man an die Sintflut denkt, ist Wasser das absolute Gegenteil von Ordnung. Die Sintflut ist eine antike Erfahrung, von der wir immer noch berührt werden. Zwar nicht mehr im Sinne einer Weltüberschwemmung, aber als Schreckensszenario im Klimawandel. Katastrophale Überschwemmungen häufen sich, wie die Zahlen der Münchener Rück, dem weltweit größten Rückversicherer, belegen. Im Zuge des Klimawandels überschwemmen Fluten ganze Landstriche und zwingen Menschen dazu, die Flucht zu ergreifen. Die Aggressivität des Wassers kann unsere kulturellen Einrichtungen zerstören und sogar den Staat herausfordern. Hier bewähren sich oder versagen Staatsmänner: Man denke nur an Helmut Schmidt, der seine Karriere gewissermaßen als Deichgraf beginnt. Als derjenige, der eine Wasserkatastrophe gut zu managen weiß und das Chaos zurückführt in eine systemische Ruhe und Ordnung.
Die kulturelle Semantik des Wassers ist also von Fall zu Fall unterschiedlich? Ja. Durchaus sogar bei ein und demselben Denker. Denken wir nochmal an Platon, der an anderer Stelle Wasser auch als Bedrohung begreift, als etwas, das Ordnung zerstören kann. Die Bedeutungen von Wasser schwanken zwischen diesen beiden Erfahrungspolen hin und her. Wasser stiftet einerseits Einheit und Zusammenhang, man denke nur an die Seefahrt und den Handel, zerstört und vernichtet aber auf der anderen Seite und ist ein Abgrund des Todes. Darin zeigt sich vielleicht die Grundlage all unserer Natur-Ästhetik: Die Natur tritt uns immer gespalten und widersprüchlich entgegen.
In Religionen hat aber der mythische oder metaphysische Aspekt des Wassers die Zeiten überdauert? Wasserrituale reichen in der Tat bis in die säkulare Gesellschaft hinein, als Badereisen, Strandbäder, Badekuren und so weiter. Dem Wasser wird in diesem Kontext Heilkraft zugesprochen. Hier liegen uralte Vorstellungen zugrunde, im Wasser seien göttliche oder heilende Kräfte wirksam, besonders aber Kräfte der Reinigung. Allerdings nicht im Sinne von Körperhygiene, sondern im Sinne spiritueller Reinheit, die durch rituelle Waschungen erreicht werden soll. Dass diese Vorstellungen heute noch präsent sind, hat aber eher mit der enormen Haltbarkeit von Riten zu tun, die oft tausende von Jahren alt sind. In aufgeklärten Gesellschaften sind davon allenfalls abgespeckte Formen wie Wassertherapie oder Wassermeditation übriggeblieben. Dennoch hält sich offenbar der Glaube, dass Wasser eine reinigende Kraft hat.
Wie steht’s um die Magie des Wassers im Kapitalismus? Dem Kapitalismus ist die ganze Natur nichts als eine Rohstoffquelle. Wasser ist ein Rohstoff, der von der Natur abgezapft und vermarktet wird. Damit hat Wasser seinen Preis. Dieser Preis wird immer höher, je mehr Wasser wir benötigen. In Verbindung mit dem Klimawandel wird Wasser in ausgetrockneten Gegenden in Afrika oder im vorderen Orient zu einer extrem knappen Ressource. Der Preis ist plötzlich nicht mehr bezahlbar, zumal es sich oft um Armutsgesellschaften handelt. Und dann entsteht durch Wasserknappheit auch Migration.
Was bedeutet das für die Zukunft? Es ist ohne weiteres möglich, dass im vorderen Orient oder in Teilen Afrikas, die Herrschaft über das Wasser als Mittel der Macht instrumentalisiert wird. Und damit ist auch eine kriegerische Gefahr verbunden. Dass aus dem Kampf um die knappe Ressource Wasser Krieg entsteht, ist nicht unwahrscheinlich.
worldwater.org | Stellt Informationen zu Schutz und Bewahrung von Wasser zur Verfügung, Projekt des Pacific Instituts (int. Think Tank zum Thema Wasser) www.flussgebiete.nrw.de | Informationsseite des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen iksr.org | Int. Komitee zum Schutz des Rheins
Thema im Mai: ANGSTHASE – Wovor haben wir Angst? Armut, Zukunft oder einfach nur vor Spinnen? Kluge Angst und irrationale Instinkte. Ängsten begegnen und sie mit Aufklärung überwinden.
Interview: Bernhard Krebs
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