Die Impulse Theater-Biennale 2013 findet statt. Noch im Dezember 2012 drohte das finanzielle Aus. Im Februar 2013 haben dann die Stadtsparkasse KölnBonn und das Land Mittel zur Verfügung gestellt. Der Gesamtetat liegt immer noch deutlich unter dem Gesamtbudget der letzten Festivalausgabe 2011. Dennoch wird Impulse in Bochum, Düsseldorf, Köln und Mülheim an der Ruhr wieder herausragende Freie Produktionen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigen. Daneben wird das Festival aber auch Raum für Gespräche, Vorträge und Interventionen bieten und erstmals auch einen thematischen Fokus haben. Unter dem Titel „Under the Influence“ wird die Bedeutung von kulturellen Identitäten untersucht, die Frage nach den spezifischen Eigenheiten von Theater aus dem deutschsprachigen Raum gestellt und die Idee einer nationalen Kultur überprüft. Im Rahmen der Neukonzeption, mit der Florian Malzacher als Künstlerischer Leiter und Stefanie Wenner als Dramaturgin angetreten sind, werden auch Arbeiten aus dem ersten Open Call in der mehr als 20jährigen Festivalgeschichte zu sehen sein.
trailer: Herr Malzacher, was macht ein Festival mit knappem Budget außergewöhnlich?
Florian Malzacher: Das Impulse Festival ist das einzige Festival mit der Idee, die deutschsprachige Freie Szene zu präsentieren, und zwar auf dem Stand, auf dem sie aktuell ist. Und sie als eine Kunstform zu präsentieren. Andere Festivals haben andere Schwerpunkte, sind internationaler oder wagen sich weniger in diese freien Formen hinein.
Worauf dürfen wir uns besonders freuen?
Das ist immer die schwierigste Frage für den Festivalmacher, weil es für alle Arbeiten gute Gründe gibt. Deshalb hat man sie ja eingeladen. Das Besondere ist sicher, dass wir versucht haben, stärker ein Festivalgefühl zu erzeugen und mit dem Umstand der vier beteiligten Städte umzugehen. Das ist ja eigentlich für ein Festival nicht ideal, weil man nie zusammen an einem Ort ist. Die Theatermacherin und Autorin Gesine Danckwart hat ein Projekt gemacht, das heißt „Chez icke“. Das ist im Prinzip eine Bar, eine Theke, und gleichzeitig eine Theaterarbeit, die, wenn man so will, original und im Internet stattfand. Das heißt, man konnte dort menschliche Avatare durch die Kneipe bewegen. Das Prinzip greifen wir auf und verbinden damit die Städte. Weil man in Köln an der Theke stehen und mit den anderen Thekengästen in Mülheim quasi korrespondierten kann. „Chez icke“ wird es in allen vier Städten geben. Das ist das eigentliche Festivalzentrum. Da gibt es Konzerte, Gespräche, aber natürlich auch Bier, und was man sonst so braucht.
Gibt es tatsächlich eine nationale Kultur?
Das ist eine große Frage. Grundsätzlich würde ich spontan immer sagen, nö, das ist vorbei, und gleichzeitig hat ja Impulse die Aufgabe, sich um die Szene im deutschsprachigen Raum zu kümmern, immerhin drei Nationen, aber doch ein begrenztes Feld. Das haben wir uns zur Aufgabe gemacht. Wir untersuchen das und nehmen sehr ernst, was die deutschsprachigen Künstler angeht. Das heißt, alle Künstler, die eingeladen wurden, haben ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Nicht alle sprechen Deutsch, aber alle haben ihren Lebensmittelpunkt hier. Der Reiz liegt darin zu schauen, ob es etwas Gemeinsames gibt, und alle Arbeiten gehen auch mehr oder weniger der Frage nach, was kulturelle Identität eigentlich ist, ob es etwas mit nationalen Grenzen oder mit Sprachgrenzen zu tun hat. Einige der Künstler glauben, es hat mehr mit Geräuschen zu tun, mit denen man groß wird, als mit den konkreten Worten, die gesagt werden.
Kann so eine nationale Kultur überhaupt mit Folklore mithalten?
Ich bin gar nicht so ein besonderer Freund von der Idee nationaler Kulturen. Ich bin ja eher überrascht, dass die Idee des Nationalstaats, wo man vor ein paar Jahren gedacht hätte, davon komme man langsam weg, dass die so ein starkes Comeback hat. Insofern würde mich das jetzt gar nicht interessieren, da mitzuhalten. Was an der Folklore interessant ist, ist, dass es darum geht, so etwas wie Heimat zu entdecken. Folklore ist ja oft völliger Fake und konstruiert und überhaupt nicht traditionell. Die Fragen sind, wie man sich irgendwo zu Hause fühlt, oder wo man ist. Aber ich glaube, das hat auch viel weniger mit Nation zu tun, als mit der Stadt oder der Landschaft, in der man lebt.
Einen „Open Call“ hat es vorher gegeben. Der Ruf schallte bis wohin?
Wir haben aus allen Ecken Deutschlands, Österreichs und der Schweiz Einsendungen bekommen. Auch darüber hinaus, aber die zählen ja eigentlich nicht. Der Versuch war, auch Dinge zur Kenntnis zu nehmen, die man sonst vielleicht gar nicht sieht. Und wir haben über 300 Einsendungen bekommen, was ja für einen ersten Open Call eine ganze Menge und eine ganze Menge Arbeit ist. So haben wir einen guten Überblick bekommen, was sich so abspielt.
Und das Internet dient als Materialsammlung der Freien Theater?
Sowohl Stefanie Wenner, die Dramaturgin, als auch ich publizieren und machen Bücher, wir hätten gerne auch eine richtige Zeitschrift gemacht oder ein Magazin oder ein Buch. Dagegen sprechen bei dieser Ausgabe nicht nur finanzielle Gründe, sondern auch die Verfügbarkeit. Impulse ist nicht nur ein Festival, sondern auch eine Plattform für die Freie Szene. Das heißt, die Diskussion darüber, was Freie Szene, was Freies Theater ist, und was das kulturpolitisch bedeutet, ob es gefördert werden muss und so weiter, die Diskussion soll auch bei Impulse stattfinden und nicht nur während des Festivals. Diese Materialsammlung im Internet mit Texten, die auch nach dem Festival weiter wachsen wird, ist so ein Versuch, so eine Diskussion zu beherbergen.
Ist der ursprüngliche Festivalgedanke – ich denke jetzt an die Ursprünge unter Dietmar N. Schmidt – noch revolutionär genug?
Alles verändert sich, auch so ein Festival muss sich verändern. Dietmar N. Schmidt wollte, und damals hat er das auch richtig gesehen, dass die Freie Szene sich auch untereinander austauscht, sieht, was sie gemeinsam produziert. Das ist mittlerweile durch andere Festivals und auch andere Strukturen weniger relevant. Auch die Fokussierung auf den deutschsprachigen Raum ist problematischer geworden, weil Arbeiten sehr international koproduziert werden und viel mehr Künstler eingewandert sind, die hier leben und andere Arbeiten machen. Impulse sich also weiterentwickeln. Aber was viel revolutionärer geworden ist, ist die Freie Szene selbst, die einen ganz anderen Einfluss gewonnen hat, ihr Spektrum wesentlich erweitert hat und sich viel weiter von den dramatischen Formen des Stadttheaters entfernt hat. Insofern ist das Festival für diese Freie Szene auch immer noch revolutionär.
Impulse gegen Ruhrtriennale – knickt die Kulturpolitik vor den EventmanagerInnen ein?
Nun, die Ruhrtriennale wird ja von meinem ehemaligen Professor Heiner Goebbels gemacht, insofern werde ich nichts Negatives über sie sagen (lacht). Ich mag das Spiel auch überhaupt nicht, dass man kulturelle Einrichtungen und Institutionen gegeneinander ausspielt. Beide haben einen unterschiedlichen Fokus und unterschiedliche Aufgaben. Die Ruhrtriennale deckt nicht das ab, wofür Impulse steht – insofern glaube ich, dass man sehr selbstbewusst sagen kann, wir sind zwar viel kleiner, aber deswegen nicht weniger wichtig als die Ruhrtriennale und auch wirklich einzigartig mit diesem Fokus. Man muss immer sagen, dass das, was hier in NRW mit Impulsen stattfindet, nirgendwo sonst, auch nicht in Berlin oder München, stattfindet.
„Impulse“ I 27. Juni bis 7. Juli I www.festivalimpulse.de
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