Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.583 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Kunst ersetzt keine Nähe
Foto: Kiryakova Anna / Adobe Stock

Wunsch nach Anerkennung

28. März 2023

Über Erziehung und Kinderglück am Beispiel musikalischer Stars – Teil 1: Leitartikel

„Wann nimmst du mich endlich in den Arm?“, fragt der kleine Elton John sein erwachsenes Ich im metaphernreichen Biografie-Musical „Rocketman“. Die gleiche Frage, die er vor vielen Jahren seinem Vater gestellt hat. Der bleibt ihm die Umarmung für immer schuldig. Es sollten viele Jahre vergehen, bis Elton seine Umarmung bekommt, bis er die Liebe bekommt, nach der er sich gesehnt hat – von sich selbst. Dieser Moment der Selbstliebe ist eine Schlüsselszene im Film. Erst als der Musiker sich selbst so akzeptiert, wie er ist, findet er aus seinem Tief heraus und marschiert „I’m still standin’ better than I ever did“ singend aus der Entzugsklinik.

Wir können den Film so interpretieren, dass ein Mensch eine schöne Kindheit braucht, um glücklich zu werden. Andersrum können wir uns aber auch fragen: Wäre Elton John einer der erfolgreichsten Musiker überhaupt geworden, wenn er eine glückliche Kindheit gehabt hätte? Steckt nicht in vielen Künstlern ein starkes Geltungsbedürfnis, der Wunsch nach Anerkennung? Ist das nicht die Triebfeder hinter Werken wie Elton Johns „Sorry Seems to Be the Hardest Word“ oder Mozarts erster Oper, die er mit elf Jahren komponierte, wahrscheinlich mit Vater Leopolds strengem Blick im Nacken? Bevor es hier zu sehr in Freud’sche Psychoanalyse geht, sollten wir fragen, was Kindesglück überhaupt ist.

Viele wissen bloß, was unglücklich macht

Das deutsche Recht kennt den Begriff Kindeswohl, hat dafür aber keine eindeutige Definition und nähert sich ihm ex negativo über den Umstand der Kindeswohlgefährdung. Das ist typisch: Was uns glücklich macht, wissen die wenigsten – bloß, was uns unglücklich macht. Für Kinder, so heißt es, seien Betreuung, Erziehung und Förderung sowie kontinuierliche Bindung wichtig. Besonders bei der Förderung wird es im Detail knifflig.

Wenn man „Rocketman“ glauben darf, dann hat Elton John es ohne viel elterliche Unterstützung zu Virtuosität und Erfolg gebracht. Bei Mozart spricht man auch gerne von einem Wunderkind, aber auch von seinem strengen Vater, der seinen Sohn an den Tasten erbarmungslos gedrillt haben soll. Wir wollen nicht alle rauschmittelsüchtige Musikstars großziehen, aber Musik ist ja schon ganz nett. Also ab in die musikalische Früherziehung. Aber mal ehrlich: Wer hat sich die Blockflöte ausgedacht, dieses Mittel zum Abgewöhnen alles Musikalischen? Soll man den Spross also direkt an die E-Gitarre setzen? Dann besteht eine große Chance, dass der Nachwuchs sich aus Trotz komplett von der Rockmusik abwendet und dem verbreiteten Irrglauben anhängt, Hiphop habe etwas mit Musik zu tun.

Selbstliebe lernen

Lässt man es mit der Förderung aber ganz sein, so wird der Nachwuchs irgendwann, spätestens ab Anfang zwanzig, sagen: „Ich finde es schade, dass ich als Kind nicht die Gelegenheit hatte, ein Instrument zu lernen. Also blieb ich unkreativ und ging BWL studieren.“ Mögliche weitere Konsequenzen: Midlife-Crisis, Motorradführerschein, Durchbrennen mit einer Jüngeren. Was das nur mit dem Kindeswohl der nächsten Generation anstellt!

Was für Musik gilt, gilt für jedes andere Hobby, egal ob Sport, Kreatives oder kognitive Beschäftigungen. Druck ist nicht gut, Ignoranz auch nicht. Wir wollen, dass unsere Kinder jetzt und im späteren Leben glücklich sind. Aber wir haben unsere eigenen Vorstellungen von Glück, die wir auf Kinder projizieren. Erwartungen sind so eine Sache. Kinder wollen von ihren Eltern geliebt werden, um ihrer selbst willen, und lernen, sich selbst zu lieben. Dann müssen sie das nicht erst in der Entzugsklinik lernen.


GLÜCKSVERSPRECHEN - Aktiv im Thema

wuenschdirwas.de | Der Verein in Köln erfüllt bundesweit schwer erkrankten Kindern besondere Wünsche, vom Hubschrauberflug über Prominententreffen bis zur Zoofütterung.
stiftung-kinderglueck.de | Die Stiftung in Dortmund hilft sozial benachteiligten Kindern, beispielsweise durch Sachspenden, Therapien und Freizeitangebote.
kindervisionen.de | Der Verein in Erfurt fördert sozial benachteiligte Kinder, vorrangig mit Angeboten in den Bereichen Sport, Musik oder Kunst.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de

Marek Firlej

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Heretic

Lesen Sie dazu auch:

Glückswochen
Intro – Glücksversprechen

„Kinder sind heute unglücklicher denn je“
Psychologe Rüdiger Maas über Erziehung, Digitalisierung und Konsum – Teil 1: Interview

Eigene Bedürfnisse kennen und ausdrücken
Kölner Verein Fair.Stärken hilft Kindern – Teil 1: Lokale Initiativen

„Totalverzweckung“ des Menschen
Bildung verkommt zur ökonomischen Zurichtung – Teil 2: Leitartikel

„Lernen darf kein Selbstzweck sein“
Lernexperte Benjamin Jaksch über lebenslanges Lernen und berufliche Weiterbildung – Teil 2: Interview

Demokratische Bildungsbürger
Die Freie Universität Oberhausen – Teil 2: Lokale Initiativen

Steiles Gefälle
Überlegungen zum Altersglück – Teil 3: Leitartikel

„Sich körperlich relativ lange gut fühlen können“
Volkswirt Karlheinz Ruckriegel über Glück im Alter – Teil 3: Interview

Was man aus dem Alter macht
Die ZWAR-Gruppen der Wuppertaler AWO – Teil 3: Lokale Initiativen

Glückliche Jugend
Wie Island das Glück junger Generationen fördert – Europa-Vorbild: Island

Glück auf Klick
Von digitalen Keksen und echter Pasta – Glosse

Leitartikel

HINWEIS