Es steht Aussage gegen Aussage. Im Mai hatte „Der Spiegel“ in einem umfangreichen Artikel von Mobbingvorwürfen gegen den Intendanten des Kölner Schauspiels Stefan Bachmann und seine Frau, die Schauspielerin und Regisseurin Melanie Kretschmann berichtet. So haben sich mehrere frühere Ensemblemitglieder und Gastregisseure über die Arbeitsatmosphäre am Haus geäußert. Demnach soll ein „Atmosphäre der Angst“ das Schauspiel Köln durchziehen. Von „krassem Mobbing“ war die Rede. Vor allem Melanie Kretschmann wird vorgeworfen, Konflikte mit anderen Ensemblemitgliedern vom Zaun gebrochen zu haben. Von Manipulation und sogar Verleumdung ist die Rede, die vom Intendanten gedeckt worden sein sollen. Zitieren ließen sich mit den Vorwürfen die Regisseure Angela Richter, immerhin bis 2016 in Köln engagiert, und Adam Traynor sowie ein Regieassistent. Bachmann und Kretschmann wiederum ließen die Berichte über ihren Anwalt dementieren und hielten dem „Spiegel“ vor, „falsch und/oder nicht vollständig informiert“ zu sein. 38 Mitglieder des Ensembles sprangen ihrem Intendanten helfend zur Seite und veröffentlichten eine Erklärung: „Wir befinden uns nicht in einer ‚Angstblase‘. Hier werden fünf Jahre meist lustvoller, mitunter streitbarer Arbeit diskreditiert. Dagegen verwahren wir uns entschieden!“
Die #metoo-Debatte hat das Theater längst erreicht. Im Februar traf es bereits Matthias Hartmann, der in seiner Zeit als Burgtheater-Direktor schwer gewütet haben soll. Im März wurden Vorwürfe der sexuellen Nötigung gegen den Regisseur Philipp Kochheim erhoben. Und gerade hat der Deutsche Bühnenverein bei seiner Jahreshauptversammlung einen Verhaltenskodex verabschiedet, dessen Forderungen auf geradezu groteske Weise mit dem Selbstbild des Theaters kollidieren.
Zum Markenkern deutscher Bühnen gehört, sich sowohl ästhetisch, als auch gesellschaftlich als Schrittmacher zu definieren. Man versteht sich als Inquisition gesellschaftlicher Missstände und setzt das eigene Fortbestehen samt auskömmlicher Finanzierung mit der Existenz eines funktionierenden Gemeinwesens in eins. Doch wer den Verhaltenskodex des Deutschen Bühnenvereins studiert, kommt zu dem Schluss, dass offenbar noch nicht einmal simpelste Standards im Theater gelten. Man wolle Diskriminierung und Übergriffe unterbinden, heißt es da; „Geschlechtergerechtigkeit“ und „Chancengleichheit“ halte man für „elementar“, die „Diversität unserer Gesellschaft“ sei in den Häusern abzubilden. Machtmissbrauch, Diffamierung, körperliche Übergriffe werden ausdrücklich missbilligt. Während Großunternehmen seit Jahrzehnten über Compliance-Regeln verfügen, muss der Bühnenverein jetzt allen Ernstes seinen Mitgliedern die ersten drei Grundgesetzartikel ins Gedächtnis rufen. Die Bühnen sollten endlich ihren Habitus moralischer Überlegenheit ablegen und sich eingestehen, dass sie ein künstlerischer Unterhaltungsbetrieb des Bildungsbürgertums sind, für den die gleichen Regeln gelten wie für alle anderen auch.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Alle sind gleich, manche sind gleicher
Wunsch und Realität bei Stadttheater und Freier Szene – Theater in NRW 06/18
Auf Wandel reagieren
5. Kulturpolitisches Symposium „Zukunft:Kultur“ – Spezial 05/18
Falsche Träume vom Sparen
Theatergutachten in Bonn empfiehlt Investitionen statt Kürzungen – Theater in NRW 05/18
Tod des Etappenhasen
Ende der Ära Millowitsch – Theaterleben 03/18
Der zweifelhafte Charme des Verfalls
Die Orangerie in Köln wird endlich generalsaniert – Theater in NRW 02/18
Nit für Kooche
Die Theaterförderung 2019-2022 steht an – Theaterleben 02/18
Unser aller Haus
Besetzung der Volksbühne Berlin – Theaterleben 11/17
Bonn(e) chance
Auch Bonn setzt in Stand – Theaterleben 10/17
Wäre ein Neubau besser gewesen?
Das Kölner Bau-Desaster – Theaterleben 08/17
Offene Wunde
Oper Köln: Pressekonferenz zur Situation am Offenbachplatz – Bühne 07/17
Schwerer Stand
Bühne der Kulturen in Schwierigkeiten – Theaterleben 07/17
Rückenwind
Kulturpolitik nach der Landtagswahl – Theaterleben 06/17
Schutz vor Verdienstausfällen
NRW plant Absicherung für freie Künstler – Theater in NRW 01/25
Offen und ambitioniert
Andreas Karlaganis wird neuer Generalintendant in Düsseldorf – Theater in NRW 12/24
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24