Ganze vier Jahrzehnte musste man in Deutschland auf eine umfassende Ausstellung zu Chaïm Soutine warten. Soutine, der 1893 in eine jüdische Familie nahe Minsk geboren wurde, 1913 nach Paris emigrierte, dort trotz zeitweilig großer Erfolge Einzelgänger blieb und 1943 an einem Magengeschwür starb, ist ein Maler von Weltrang. Mit seiner expressiven, farbintensiven, immens präsenten Malerei ist er ein sperriger Sonderfall der Moderne, der bis heute hoch verehrt wird.
Die Ausstellung, die jetzt in der Kunstsammlung NRW zu sehen ist, konzentriert sich in etwa auf 1915-1930 und damit auf die Motivgruppen, die so viel über ihre Entstehungszeit mitteilen. Sie verdeutlichen die Armut in Paris in den Jahren während und nach dem Ersten Weltkrieg, während der industrielle Fortschritt einzelne Bevölkerungsgruppen bevorzugte und andere benachteiligte. Soutine lebte am Montmartre unter zunächst erbärmlichen Umständen, immerhin als Student an der École des Beaux-Arts, der in den Kreisen von Chagall, Léger und Zadkine verkehrte und über seinen Freund Amadeo Modigliani Kontakt zu Galerien bekam. Er hielt sich ab 1918 wiederholt in Südfrankreich auf; dort sind seine schwankenden, aus dem Lot geratenen Landschaften und urbanen Szenen entstanden, die die Brüchigkeit dieser Jahre zum Ausdruck bringen und Parallelen zum Kubismus, Futurismus und ohnehin zum Expressionismus aufweisen.
Mit diesen Bildern und den Stillleben karger Malzeiten setzt die Ausstellung in Düsseldorf ein. Sie zeigt die gehäuteten Ochsen, für die Soutine berühmt ist. Sie widmet sich seinen Porträts unterprivilegierter dienender Schichten wie den Messdienern, Konditoren, Zimmermädchen und Liftboys und den plötzlichen Außenseitern wie der alten Schauspielerin – und wie Soutine das malt, ist eine Wucht. Die Körper sind verschoben und im Ausgemergelten von weiter Kleidung umfangen, die Gesichter scheinen zu grimassieren und sind selbstbewusst. Stellenweise ist die Darstellung abstrakt und zeigt doch immer in mitfühlender Intensität Individuen: als Metaphern für die Schönheit und Verletzlichkeit des Menschen und seiner Ausgrenzung. Schon mit diesen Bildern hat Soutine einen Platz im Olymp der Malerei inne.
Chaïm Soutine – Gegen den Strom | bis 14.1. | K20, Kunstsammlung NRW in Düsseldorf | 0211838 12 04
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