Zu Lebzeiten wurden die Bilder von Agnes Martin (1912-2004) selten gezeigt und nach ihrem Tod noch seltener. Nicht, dass es kein Interesse gegeben hätte, im Gegenteil. Aber die Gemälde sind in alle Welt verstreut und vielfach in Privatbesitz und natürlich Kostbarkeiten, auch im übertragenen Sinne: in der Feinheit ihrer Malerei. Sie sind gegenstandsfrei und bestehen, überwiegend quadratisch, aus Streifen, Feldern, Rastern in heller Farbigkeit. Die tonale Verhaltenheit hat Agnes Martin dadurch erreicht, dass sie einen weißen Gipsgrund angelegt und auf diesem mit verdünnter Acrylfarbe gemalt hat. Ganz lapidar, mit von Hand gezogenen Linien, sind diese Werke für das Sehen hoch komplex, ja, unerschöpflich: Die Retrospektive, die derzeit die Kunstsammlung NRW ausrichtet, ist eine stille Sensation.
Dabei beginnt die Düsseldorfer Ausstellung unruhig, die verschiedenen Werkgruppen konkurrieren fast miteinander. Deutlich wird aber, dass Agnes Martin nach realistischen Anfängen schon in den 1950er Jahren zu abstrakten Reihungen in großer Variabilität gelangt ist, ehe sie sich in den frühen 1960er Jahren auf horizontale und vertikale Raster und Linien beschränkt. Und dass die grandiosen Gemälde mit den breiten pastellfarbenen Bahnen ihre Vorgeschichte haben. Gleich am Eingang zeigt ein kleineres realistisches Gemälde von 1947, wie ernst es Agnes Martin von früh an war, interessanterweise ist es ein Selbstbildnis. Schon bei ihm ist die Sorgfalt und Genauigkeit im Setzen jeder einzelnen Farbpartie zu erkennen, wie sie dann das kommende Werk auszeichnen. Mit dieser Beharrlichkeit und ihrer Zurückgezogenheit am Ende der Welt, in New Mexico, war Agnes Martin schon zu Lebzeiten legendär.
Freilich hat sie zunächst an der New Yorker Kunstszene partizipiert. In Kontakt etwa mit Jasper Johns und Ellsworth Kelly, lebt die gebürtige Kanadierin ab 1957 in der Kunstmetropole. 1967 dann der Bruch. Sie verlässt New York, gibt das Malen auf und reist eineinhalb Jahre durch die Staaten und Kanada. Anschließend baut sie sich ein Holz- und Lehmhaus in New Mexico. Erst 1974 wird sie wieder die Malerei aufnehmen – als große Künstlerin war sie da schon anerkannt. 1972 wurden ihre Bilder auf der documenta gezeigt, ab 1975 vertritt sie die New Yorker Pace Gallery. Später erhält sie den Oskar-Kokoschka-Preis sowie den Goldenen Löwen der Biennale Venedig. Tatsächlich registriert Agnes Martin sehr bewusst die Kunst ihrer Zeit. Ihre Malerei reagiert auf den Abstrakten Expressionismus und die Minimal Art und trägt noch zur US-amerikanischen Farbfeldmalerei bei. Aber das hat sie selbst in ihren theoretischen Schriften wenig interessiert. Vielmehr lag ihr daran, eine Transzendenz parallel zu Phänomenen der Natur zu erreichen und zu vermitteln – als „eine Erfahrung einfacher Freude“.
Agnes Martin | bis 6.3. | K20 Kunstsammlung NRW in Düsseldorf | 0211 838 12 04
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