„Viel mehr als ein Krimi“, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung in Davide Longos neuem Roman „Der Fall Bramard“ an literarischer Qualität zu entdecken. Ein Lob? Jedenfalls dann, wenn man Kriminalromane nur als Genre-Literatur betrachtet, die bestenfalls den Standard sentimental getränkten Lesefutters übersteigt. Dabei beweist Davide Longo nach seinem großartigen Roman „Der Steingänger“ erneut, welche Möglichkeiten das Genre einem Autor eröffnet, der über eine eigene Stimme verfügt.
Die Geschichte spielt im Piemont. Die Provinz mit ihren Bergen, den Seen, den zersiedelten Vorstädten und der Großstadt Turin, bildet das Panorama, vor dem sich das Schicksal des Titelhelden Corso Bramard erfüllt. In die Berge hat sich der ehemalige Kommissar – der im Dienst nicht mehr tragbar war – zurückgezogen, nachdem er Frau und Tochter verloren hatte. Beide wurden Opfer eines Serienmörders, der nie zur Strecke gebracht werden konnte. Ein Bordell, das dem in Yasunari Kawabatas Roman „Die schlafenden Schönen“ nachempfunden ist, spielt eine Rolle. Dort verkehrten die Politiker und Reichen, deren Villen die Ufer der Seen dominieren. Das Haar eines der Opfer taucht auf. Bramard nimmt die Ermittlungen wieder auf an der Seite der jungen Polizistin Isa, mit der nicht gut Kirschen zu essen ist. Schönheit und Frechheit liegen bei Isa beständig im Widerstreit.
Davide Longo, der selbst aus dem Piemont stammt, schreibt mit Genuss. Bei ihm ist der Weg das Ziel und bringt erst die Lösung des Falls hervor. Longo folgt einer stringenten Dramaturgie und bedient sich einer Sprache, die spröde wie ihr Protagonist gehalten ist und nur wenige kalkulierte Ausschweifungen erlaubt. Barbara Kleiner hat eine poetisch fein abgeschmeckte Übertragung ins Deutsche besorgt.
Andererseits lebt der Roman von den Persönlichkeiten seiner Protagonisten, ihren Ecken und Kanten. Da gibt es den Onkel von Bramard, der eine Gastwirtschaft unterhält und ausgerechnet jene Frau heiraten will, in die sich auch Bramard verliebt hat. Wunderbare Momente gelingen Longo, wenn er in das Leben des ehemaligen Kollegen Arcadipane einsteigt und wir dabei sind, wenn der Funke des Begehrens zwischen dem alten Polizisten und seiner Ehefrau noch einmal zündet.
Longos Prosa ist von einer Präzision, die aus wenigen Details sofort Bilder entstehen lässt, die realistisch wie Filmsequenzen wirken. Und wie ein Film ist auch die Geschichte geschnitten, die durch ein Italien der städtischen Peripherie führt, in dem landschaftliche Schönheit von Tankstellen, Schnellrestaurants und Parkplätzen sabotiert wird. Longo demonstriert uns schlagend, wie man in einer Kriminalgeschichte die Zustandsbeschreibung einer Gesellschaft entfaltet. Dieses Italien, das er uns zeigt, wird eben immer noch von einer Schicht der Besitzbürger beherrscht, die wie Gutsherren der unmoralischen Sorte regieren. Gleichwohl erscheint in Longos Prosa alles vital, weil die Menschen in ihr zum Ereignis werden, und man bedauert, dass die Geschichte dann doch ein Ende findet.
Davide Longo: Der Fall Bramard | Rowohlt Verlag | 320 Seiten |19,95 €
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