Sie hatte früh Erfolg, verdrehte mit ihrer androgynen Schönheit Männern und Frauen gleichermaßen den Kopf und verfügte, wie sie selbst behauptete, über „so viele Ideen, wie Ratten Orgasmen haben“. Wer einmal einen Roman von Patricia Highsmith gelesen hat, weiß, was es heißt, von einer Geschichte in den Bann gezogen zu werden, die immer schrecklichere Wendungen nimmt, ohne dass man eine Chance zum Ausstieg besäße. Romane wie „Der talentierte Mr. Ripley“, „Der Schrei der Eule“ oder „Lösegeld für einen Hund“ erzeugen einen dunklen Sog, dem nicht zu widerstehen ist. Wer war diese Frau, die Alfred Hitchcock mit seiner Verfilmung ihres ersten Romans „Zwei Fremde im Zug“ zu einer Berühmtheit machte? Eine Lichtgestalt der Literaturszene, die uns in ihren späten Jahren nur noch als missmutige, krötenartige Gestalt von den Covern ihrer Bücher entgegenblickte.
Die amerikanische Dramatikerin Joan Schenkar hat sich auf die Spuren der 1995 verstorbenen Patricia Highsmith begeben. Fast 1100 Seiten umfasst ihre Biographie mit dem Titel „Die talentierte Miss Highsmith“, sieben Jahre Arbeit stecken darin, und wenn man die ungeheure Masse an Material betrachtet, durch die sie sich wühlte, muss man ihr bescheinigen, dass sie nicht getrödelt hat. Also eine enorme Fleißarbeit? Nein, eine der brillantesten Biographien, die je über eine moderne Autorin geschrieben wurden, geistreich, pointiert in der Komposition ihrer Bilder, psychologisch schlüssig und mit dramaturgischem Geschick entwickelt. Dass sie gut ist, weiß Schenkar, und so lässt sie keine Sekunde Zweifel daran aufkommen, dass sie keinesfalls vor Highsmith bewundernd in die Knie gehen wird.
Im Gegenteil, hier hat eine Frau die Schlichen der anderen mit einer klarsichtigen Unbarmherzigkeit durchschaut, wie sie keinem Mann zur Verfügung steht. Schenkar zeigt, wie Highsmith ihren Lebenslauf fälscht, wie sie im Tagebuch falsche Fährten auslegt, sie beschreibt den lebenslangen, hasserfüllten Kampf, den „Pat“ gegen ihre Mutter Mary führt. Sie deckt die kalte Effizienz auf, mit der die reiche Autorin ihre zahlreichen Affären mit Frauen, die sie erstaunlich schnell ins Bett bekommt, dazu benutzt, ihre Romane zu strukturieren. Ihr entgeht nicht, wie Hass als eine Form von verschmähter Liebe, zur Triebfeder vieler Geschichten wird. Mit einer leichten Drehung blickt Highsmith auf die Welt, und schon erscheint alles in eine Perspektive bedrohlicher Vorahnungen gerückt. Spannend sind diese Romane, weil hier alles möglich erscheint. Normalität ist für Highsmith nichts weiter als ein lächerlicher Begriff von Spießbürgern. Sie selbst wusste, was uns an ihren Romanen so verstört. Es ist „die Anwesenheit der Abwesenheit von Schuld“, die das kalte Herz ihrer Geschichten ausmacht.
Obwohl Joan Schenkar den in seinen Widersprüchen, seinem Misstrauen und seiner Kälte furchterregenden Charakter der Highsmith glasklar betrachtet, sieht sie auch die Verletzungen, die Irrtümer und tragischen Verstrickungen im Leben dieser großartigen Schriftstellerin. Warum sie so großartig ist, sieht Schenkar aber eben auch. Und weil sie diesen gigantischen Text mit einer Unzahl von Anekdoten, Beobachtungen und Reflexionen delikat auszustatten vermag, bleibt er immer so brodelnd lebendig, dass man keine der 1070 Seiten verpassen will.
Joan Schenkar: „Die talentierte Miss Highsmith“ | Deutsch von Renate Orth-Guttman, Anna-Nina Kroll und Karin Betz | Diogenes | 1070 S. | 29,90 €
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