Diese Geschichte beginnt harmlos. Und doch wirken in ihren Details schon die Boten der dramatischen Verstrickung, die sie in ein ungeheures Finale tragen werden. Liese arbeitet in Melbourne als Immobilienmaklerin in der Firma ihres Onkels. Das heißt, sie zeigt betuchten Klienten exklusiv möblierte Objekte. Mit dem vermögenden Alexander trifft sie sich mehrmals. Liese formuliert das ganz direkt, wenn sie sagt, „nach oberflächlicher Entdeckungstour durch die jeweils neuen Wohnungen bestand, fand ich, keine Notwendigkeit, so zu tun, als wären wir aus einem anderen Grund hier als aus sexueller Begierde. Begierde und deren möglichst kreativem Ausdruck.“
Alexander ist attraktiv, wenn auch nicht übermäßig, und der Kick, jedes Mal in einer fremden Dekoration miteinander zu schlafen, erweist sich als durchaus reizvoll. Chloe Hooper, die 1973 in Melbourne geboren wurde, präsentiert mit „Die Verlobung“ aber keine erotische Literatur, wenn der Roman auch von einer erotisch subtil dosierten Unterströmung durchzogen ist. Michael Kleeberg, dessen Prosa ähnliche Qualitäten besitzt, ließ es sich denn auch nicht nehmen, diesen Text zu übersetzen.
Nach ein paar Dates will Liese die Affäre beenden, da sie plant, wieder in ihre Heimat England zurückzukehren. Alexander lädt sie jedoch zu einem Wochenende in die Wildnis der Outbacks ein, wo er ein ererbtes Landgut besitzt. Generös schenkt er ihr ein dickes Kuvert mit Geld, um sie für die zu verbringende Zeit zu entschädigen. Liese fährt mit, sie ist amüsiert und neugierig und sie braucht das Geld.
Bald stellt sich heraus, dass Alexander sie heiraten möchte. Will sie das? Eher nicht, wenn das Haus auch faszinierend ist, so findet sie sich doch in einer vollkommen abgeschiedenen Region wieder. Das Land ist rau, eine Wildnis, die nichts Idyllisches hat. Zunächst versucht sie Alexander noch vorsichtig ihre Absage beizubringen. Der ignoriert jedoch alle Zweifel und bald wird klar, dass er sie nicht wieder gehen lassen wird. Er weiß erstaunlich viel über Liese, die auch nach ihren früheren Treffen Geld von ihm nahm, dass er ihr wie selbstverständlich gab. Erst war sie überrascht, dann fand sie es prickelnd, eine Rolle zu spielen. Eine Prostituierte ist sie nicht, aber nun versucht Alexander sie als geborene Hure darzustellen. Gleitet er ab in einen Wahn?
Chloe Hooper versteht die Schraube der Bedrohung immer fester anzuziehen. Ihr Sujet ist die Kontrolle, wobei die Frage der Macht nicht alleine über die Topographie des Ortes ausgespielt wird. Alexander zwingt Liese, ihrem eigenen Begehren zu begegnen. War dieses Begehren falsch? Nicht nur das sexuelle Begehren, auch die verlockende Vorstellung, die Ehefrau eines reichen Gutsbesitzers zu sein? Plötzlich sitzt Liese in der Fantasie eines Groschenromans fest. Aber was sich da als atemberaubende Beziehungsgeschichte entwickelt, erweist sich bei genauerer Betrachtung als ein Roman, der raffiniert den Zeitgeist unserer Epoche analysiert. Nie stand das Begehren höher im Kurs, da es den ersten Schritt zum Genießen darstellt, das uns in jedem Werbeclip befohlen wird. Aber wir hassen das Genießen auch, weil es immer den anderen zugeschrieben wird. So ergeht es auch Alexander, der Liese in die Rolle der Hure drängen will. Im Begriff der „käuflichen Liebe“ spitzt sich die ganze Verachtung des kapitalistischen Systems zu, denn wenn etwas nicht käuflich ist, dann ist es die Liebe. Chloe Hooper lässt ihre Erzählerin diese Frustration zielgenau in Worte fassen, wenn sie begreift, was Alexander - ihr vermeintlicher Kunde – meint, wenn er sagt: „Du bist nur eine Hure, wie kannst du es wagen, nicht genau das zu wollen, was ich will, das du willst. Tu, was ich dir sage – liebe mich, wie ich es wünsche, und zwar aus freiem Willen“.
Mit der „Verlobung“ legt die Australierin erst ihren dritten Roman vor aber das Handwerk beherrscht sie schon mit großer Sicherheit. Liese, ihre Erzählerin, präsentiert sich als eine junge Frau von Reife, die über einen eigenen Ton verfügt und es mit dem älteren Alexander aufnehmen kann. Von ihm vermag man nie zu sagen, ob er nun von perfider Bosheit oder unberechenbarem Wahnsinn getrieben ist. Ein Beziehungsdrama am Ende der Welt, das erotische Wegmarken setzt und dabei die Klaviatur der Dramatik von beklemmend bis unheimlich und furchterregend durchläuft, um dann in einem irre spannenden Ende zu münden, das Logik und Wahrscheinlichkeit gehorcht und dennoch zu überraschen versteht.
Chloe Hooper: Die Verlobung | Deutsch von Michael Kleeberg | Liebeskind, 320 S. | 19,80 €
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