Manche Wunschträume bekommt man nicht erfüllt. Die Bittgebete Kölner Politiker, das Land NRW möge endlich ein Museum, ein Orchester oder die Bühnen der Stadt mitfinanzieren, gehen ins Leere. In Sachen Geld ist Landesmutter Kraft nicht zu erweichen. Dabei engagiert sich das Land schon in Köln: Die Studiobühne ist als Einrichtung der Universität eigentlich eine Landesbühne. Das fällt nicht weiter auf, dafür ist das Haus an der Universitätsstraße viel zu eng mit der Kölner freien Szene verbunden. Doch angesichts des bevorstehenden haushalterischen Erbsenzählens dürfte Studiobühnenchef Dietmar Kobboldt ruhiger schlafen als andere Theaterleiter.Dass die Studiobühne vom Land finanziert wird, hat sie vor Neid-Debatten verschont, und ihr früherer Leiter Georg Franke und auch Dietmar Kobboldt konnten deshalb zum Vorsitzenden der Theaterkonferenz gewählt werden.
Wer unabhängig von der Stadt ist, steht nicht im Verdacht, pro domo zu reden. Unter den freien Theatern ist die Studiobühne längst der elder statesman. Eingerichtet schon in den 20er Jahren, hat der Senat der Uni vor 40 Jahren beschlossen, das Haus zur eigenständigen, sich selbst verwaltenden Einrichtung zu machen. Deshalb jetzt die Sektkorken.Ästhetisch, so Dietmar Kobboldt, sei das Haus damals als Studententheater ein Vorläufer des heutigen freien Theaters gewesen, politisch engagiert und international ausgerichtet. Internationalität und Avanciertheit gelten bis heute und verbinden sich mit einem universitären Bildungsauftrag: einem Kurssystem, das allen Studenten offen steht, der Durchführung von unterschiedlichen Programmen mit Instituten, aber auch einer Kooperation mit dem Institut für Medienkultur und Theater.Gut, dass das Haus früher die Mensa beherbergte, denn deshalb ist an der Universitätsstraße – anders als in vielen Schuhschachtel-Bühnen Kölns – auch Platz für große Produktionen, was das Haus bei Festivals wie Theaterszene Europa oder Impulse, aber auch bei Stücken des Analog Theaters, des Deutsch-Griechischen oder des A.Tonal.Theater unter Beweis stellt.
Ab 2015 dringt die Studiobühne allerdings in neue Dimensionen vor. Drei Bühnen bespielt sie bereits, den großen Saal, einen mittleren Probe-/Aufführungsraum, der auf doppelte Größe ausgebaut wird, sowie die kleine Schmiede. Jetzt kommen eine vierte Bühne, sowie drei (!) neue Proberäume hinzu, erzählt Dietmar Kobboldt. Eine Größe, mit der selbst andere Produktionshäuser in NRW nicht mithalten können. Angesichts von 2 ½ festen Stellen und etlichen studentischen Hilfskräften sowie eines kleinen Koproduktionsetats droht die Gefahr eines Riesen, der vor Kraft kaum laufen kann. Doch Kobboldt hat ehrgeizige Pläne. Das Haus soll zu einem „Labor für zeitgenössisches Theater" umgebaut werden: „Wenn in zehn Jahren in Europa über innovatives Theater gesprochen wird, soll die Studiobühne zu den Top 25 gehören." Er möchte das Haus zur Basis internationaler Ensembles zu machen, die hier ihre Stücke herausbringen. Als Beispiele nennt er die Gruppe mercimax aus Zürich oder Michael Pinchbeck aus Nottingham. „Man muss sich von dem Gedanken verabschieden, rein lokal Theater machen zu können", sagt der Studiobühnenleiter.
Die ersten Ansätze dazu sind bereits seit zwei Jahren zu sehen. Neben Regie- und Nachwuchswettbewerb sowie nationaler Vernetzung wurde die Reihe „Transfusionen" eingerichtet, bei der sich (inter)nationale Gruppen zum Arbeiten in der Studiobühne treffen.Ein solches Programm kostet Geld. Haus, Betriebskosten und Personal werden von der Uni bezahlt, dazu kommt ein Zuschuss, der knapp über dem liegt, was die Stadt mit ihren rund 130.000 Euro dazugibt. Nicht viel für ein derart ambitioniertes Haus, doch Kobboldt deutet neue Finanzierungsmöglichkeiten an, ohne konkret zu werden. Da dürfte die Stadt Köln schlucken. Deren derzeitiges Theaterförderkonzept ist ausschließlich lokal ausgerichtet und unterbindet Koproduktionen mit wichtigen nicht-Kölner Gruppen. Die Studiobühne will offenbar mehr als diese kölntypische Nabelschau. Letztlich ist dies die Quittung für die jahrelangen fruchtlosen Debatten der Stadt über ein Produktionszentrum für die freie Szene. In der Studiobühne wächst es endlich heran – dem Land sei Dank.
40 Jahre Studiobühne – Forced Entertainment: „Tomorrow's Parties" | R: Tim Etchells | 16. (anschl. Geburtstagsparty), 17.5. 20 Uhr | Studiobühne
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