Die Notunterkunft für Flüchtlinge, die im ehemaligen Straßenverkehrsamt in der Herkulesstraße untergebracht ist, ist die größte ihrer Art in Köln: Hier leben zeitweise bis zu 600 Personen auf engem Raum zusammen, davon ein bedeutender Teil Kinder und Jugendliche. Um diesen erste Sprachkenntnisse zu verschaffen, kooperiert die Stadt Köln seit April 2014 mit dem Zentrum für LehrerInnenbildung an der Uni Köln. Im Rahmen eines Seminares haben Lehramtsstudierende ungeachtet ihrer Fächer oder Schulform dabei die Möglichkeit, ihr obligatorisches Betriebspraktikum in der Notunterkunft zu absolvieren und dort Praxis im Fremdsprachenunterricht zu bekommen.
Das Konzept dazu stammt von Mona Massumi vom Zentrum für LehrerInnenbildung, die die Studierenden im Vorfeld auf ihre Aufgabe vorbereitet. „Die meisten von ihnen hatten bis dahin kaum Berührungspunkte mit Flüchtlingen und haben nur wenig Hintergrundwissen über deren Situation“, weiß sie. Daher würden die 26 Studierenden, die pro Semester an dem Seminar teilnehmen, zunächst über Grundlagen wie die gesetzlichen Bestimmungen der Aufnahmeverfahren und die Nationalitäten der im Heim untergebrachten Bewohner aufgeklärt.
Jeweils zu zweit erarbeiten die Seminarteilnehmer dann ihr Lehrprogramm, das aus jeweils zwölf Unterrichtseinheiten besteht. Die Herausforderung dabei besteht vor allem in den extrem unterschiedlichen Voraussetzungen, die die Flüchtlingskinder mitbringen. Neben einer Vielzahl an vertretenen Muttersprachen sind nicht wenige außerdem Analphabeten, andere haben in anderen Schriftsystemen wie Arabisch oder Kyrillisch schreiben gelernt und müssen sich auf das lateinische Alphabet umstellen. Viele haben außerdem auf ihrer Flucht traumatische Erfahrungen gemacht, was die Studierenden ebenfalls berücksichtigen müssen.
Saliha Öztürk ließ sich davon allerdings nicht abschrecken. Die 22-Jährige studiert im vierten Semester Englisch und Pädagogik auf Lehramt und hat im vergangenen Sommersemester an Massumis Seminar teilgenommen – von April bis Juni unterrichtete sie gemeinsam mit ihrer Partnerin bis zu zehn Schüler, von denen die meisten aus dem Kosovo, Albanien oder Mazedonien, aber auch aus Pakistan und dem Irak stammen. Bei der Konzeption ihres Unterrichts setzen sie dabei vor allem auf Rituale.
„Begonnen haben wir den Unterricht immer mit einem Stuhlkreis, das war auch für die Kinder das Signal, dass es jetzt los geht. Dann haben wir thematische Blöcke von einfachem, alltäglichen Sprachgebrauch erarbeitet, etwa, wie man sich mit seinem Namen vorstellt. Das haben wir den Schülern dann erstmal zu zweit mit der entsprechenden Gestik vorgespielt und sie es anschließend nachahmen lassen – so ließ sich auch überprüfen, auf welchem Stand die Kinder jeweils waren.“
Den Unterricht kontinuierlich zu gestalten, erwies sich jedoch aufgrund der hohen Fluktuation unter den Bewohnern als schwierig. „Sich mit einzelnen Schülern zu befassen war kaum möglich, weil man sich nicht sicher sein konnte, ob sie beim nächsten Mal wieder kommen würden“, so Öztürk.
Nicht nur, weil diese in andere Unterkünfte verlegt würden, manche verlören auch einfach das Interesse. „Ihre ungewisse Situation macht es vielen Flüchtlingen schwer, Motivation zu entwickeln, da sie nicht wissen, ob und wie lange sie in Deutschland bleiben können“, meint Massumi. „Das war schon manchmal sehr frustrierend aber man darf es nicht persönlich nehmen“, sagt Öztürk. Auf der anderen Seite zeigten sich viele auch sehr dankbar, auch sei es ein Erfolgserlebnis, wenn sich bei manchen deutliche Lernfortschritte zeigten. So zieht sie letztlich ein positives Fazit: „Man lernt, flexibel zu arbeiten und spontan zu reagieren. Ich kann es jedem nur empfehlen.“
Aktiv im Thema
zfl.uni-koeln.de/aktuelles.html | Zentrum für LehrerInnenbildung Köln
www.koeln-freiwillig.de/ | Die Agentur berät und vermittelt Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren wollen
Lesen Sie weitere Artikel
zum Thema auch unter: trailer-ruhr.de/thema und engels-kultur.de/thema
VOGELFREI – Was bedeuten Vögel und industrielle Landschaften für Sie? (Thema im Oktober)
AutorInnen, Infos, Texte, Fotos, Links, Meinungen...
gerne an meinung@choices.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Das ignorierte Elend
Kinderarmut wächst auch, weil Politik und Öffentlichkeit wegschauen – THEMA 12/16 KINDERSEGEN
„Die Elite ist nicht willens zu teilen“
Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband über Kinderarmut – Thema 12/16 Kindersegen
Ankommen in der neuen Heimat
Kindgerechte Versorgung minderjähriger Geflüchteter ist eine zentrale Frage der Migrationspolitik – Thema 12/16 Kindersegen
Selbstportraits geflüchteter Kinder
Ausstellung „Ich bin ich“ in St. Gertrud – Kunst 08/16
Mangelware Arabisch
Funkhaus Europa sendet Nachrichten für Flüchtlinge – Thema 02/16 Gute Zeit
Die Flüchtlingskrise ist nicht nur ein modernes Phänomen
Rosine De Dijn über historische Parallelen zur heutigen Asylanten-Debatte – Literatur 12/15
Familie ist da, wo Kinder sind
Kinder in homosexuellen Beziehungen entwickeln sich „eher positiv“ – THEMA 09/15 WELTENKINDER
„Manche Kinder sind ein bisschen neidisch auf zwei Mamas“
Birgit Brockerhoff, Gründerin der Kölner „ReboKids“, über Regenbogenfamilien – Thema 09/15 Weltenkinder
Haben Sie ein Wahlprogramm für Kinder?
Die Kandidaten der OB-Wahlen in Köln antworten
Nicht ausbalanciert
Der Umgang mit Arbeitsmigration ist immer noch vorurteilsbehaftet – THEMA 07/13 WILLKOMMEN
„Migration wird immer temporärer“
Ökonom Herbert Brücker über aktuelle Trends in der Zuwanderung – Thema 07/13 Willkommen
„Die Arbeiter unterbieten sich gegenseitig im Preis“
Horst Küsters über das Engagement der Initiative MigrAr – Thema 07/13 Willkommen
Gegen welche Regel?
Intro – Flucht und Segen
Rassismus kostet Wohlstand
Teil 1: Leitartikel – Die Bundesrepublik braucht mehr statt weniger Zuwanderung
„Ein Überbietungswettbewerb zwischen den EU-Staaten“
Teil 1: Interview – Migrationsforscherin Leonie Jantzer über Migration, Flucht und die EU-Asylreform
Ein neues Leben aufbauen
Teil 1: Lokale Initiativen – Der Verein Mosaik Köln Mülheim e.V. arbeitet mit und für Geflüchtete
Schulenbremse
Teil 2: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat
„Die Kategorie Migrationshintergrund hat Macht“
Teil 2: Interview – Migrationsforscher Simon Moses Schleimer über gesellschaftliche Integration in der Schule
Bildung für Benachteiligte
Teil 2: Lokale Initiativen – Der Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe in Bochum
Zum Schlafen und Essen verdammt
Teil 3: Leitartikel – Deutschlands restriktiver Umgang mit ausländischen Arbeitskräften schadet dem Land
„Es braucht Kümmerer-Strukturen auf kommunaler Ebene“
Teil 3: Interview – Soziologe Michael Sauer über Migration und Arbeitsmarktpolitik
Ankommen auch im Beruf
Teil 3: Lokale Initiativen – Bildungsangebote für Geflüchtete und Zugewanderte bei der GESA
Das Recht jedes Menschen
Die Flüchtlings-NGO Aditus Foundation auf Malta – Europa-Vorbild Malta
German Obstacle
Hindernislauf zur deutschen Staatsbürgerschaft – Glosse
Weihnachtswarnung
Intro – Erinnerte Zukunft