Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Familie ist da, wo Kinder sind. So heißt es zumindest. Doch wenn das „da“, ein homosexuelles Paar ist, dann ist ganz schnell Schluss mit dem Universalismus. Dann brechen sich rasch Ressentiments Bahn: Kinder in Homobeziehungen seien psychisch instabil, seien entwicklungs- und verhaltensauffällig und hätten Probleme mit ihrer Sexualität – lautet der Tenor in Internetforen und den Leserkommentarspalten der Onlineauftritte von Zeitungen und Magazinen. Ein perfider, weil sich sachlich gebender Dauerbrenner unter den Vorurteilen: es gebe keine wissenschaftliche Langzeitstudien, die klar beweisen, dass das Aufwachsen bei einem homosexuellen Elternpaar keine Entwicklungs- oder psychischen Schäden beim Kind verursache.Ganz abgesehen davon, dass es Studien, wenn auch keine Langzeitstudien (wann sollten die auch entstanden sein?) gibt, ist die Forderung selbst nichts anderes als Homophobie, die sich im Deckmäntelchen der Sorge ums Kindswohl kleidet.
Schätzungen gehen inzwischen übrigens von 16.000 bis 19.000 Kindern in Deutschland aus, die nicht in der klassischen Vater-Mutter-Kind Familie aufwachsen. Der CDU Politiker Jens Spahn – selbst bekennender Homosexueller – hat sicherlich recht, wenn er sagt: „Wenn es jemand erst mal komisch findet, wenn zwei Männer ein Kind großziehen, ist er nicht gleich homophob.“ Leider blockiert aber der Konservatismus, an dem beim Thema Regenbogenfamilie auch viele Nichtkonservative leiden, eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit dem Wandel, dem die Institution Familie in den letzten Jahren und Jahrzehnten unterworfen wurde. Homophobe Einstellungen sind auch unter ansonsten zurechnungsfähigen und aufgeklärten Menschen leider erschreckend weit verbreitet und machen vor den Kleinsten nicht halt; die schnappen schwulen- und lesbenfeindliche Vorurteile auf und reproduzieren sie.
Dass das so ist, weist die Studie „Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“ des bayerischen Staatsinstituts für Familienforschung an der Universität Bamberg nach. Jedes zweite Kind aus einer Regenbogenfamilie machte demnach Diskriminierungserfahrungen, vor allem durch andere Heranwachsende. Das Spektrum reicht von Beschimpfungen und dem Gefühl, ausgeschlossen zu werden, bis zur Androhung von Schlägen. Vereinzelt berichteten Kinder auch von Erpressungen und Sachbeschädigungen. Eine Dramatisierung wäre aber unangebracht – das macht die Studie eben auch deutlich. Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung des Kindes hätten Diskriminierungserfahrungen jedoch, wenn sie massiv seien. Hänseleien gehören unter Kindern hingegen zum Geschäft: Die einen sind zu dick, andere haben einen Namen, der zu blöden Sprüchen einlädt und jetzt gibt es eben auch Kinder mit schwulen oder lesbischen Eltern. Worauf es ankommt ist, wie Kinder und Eltern mit diesen Erfahrungen umgehen. 69 Prozent der diskriminierten Kinder aus Regenbogenfamilien gaben an, mit ihren Eltern über dumme Sprüche zu sprechen. Diese Offenheit wirkt möglichen negativen Einflüssen entgegen, stellt die Studie klar.
Neben Diskriminierungserfahrungen waren bei der Befragung unter Eltern, Pädagogen und Heranwachsenden erzieherisches Engagement, Aufgabenverteilung im Alltag und die Außendarstellung der Gemeinschaft zentrale Punkte. Das Fazit: Regenbogeneltern sind genauso gute Eltern wie Heterosexuelle. Das Kindeswohl ist bei zwei Vätern oder zwei Müttern ebenso gewahrt wie in anderen Familien. Die Kinder entwickeln sich grundsätzlich positiv, der schulische und berufliche Werdegang ist normal, und es gibt keine erhöhte Neigung zu emotionalen Unsicherheiten. Wenn es Unterschiede in der Entwicklung zu beobachten gebe – Fundamentalisten, Konservative und vermeintlich besorgte Heteros müssen jetzt ganz tapfer sein – „dann eher in positiver Weise“.
Das führt die Studie darauf zurück, dass sich Regenbogeneltern der speziellen Situation, der sie sich und ihr Kind aussetzen, bewusst sind. Sie denken viel darüber nach, wie sie ihre Kinder vorbereiten und unterstützen können und erklären ihnen, dass es verschiedene Lebensformen gibt. Das wiederum stärke das Selbstwertgefühl und die Toleranz der Kinder.
Negativ beeinflusst werden Kinder hingegen – egal in welcher Familienkonstellation sie aufwachsen – durch familiäre Instabilität: Wechselnde Partnerschaften der Eltern, häufige Umzüge, Konflikte zwischen den getrennt lebenden leiblichen Eltern oder andauernder Streit in den aktuellen Partnerschaften. Also Dinge, die in den besten Familien vorkommen können – egal ob homo oder hetero.
Aktiv im Thema
www.regenbogenfamilien-koeln.de/
www.rubicon-koeln.de/ | Unterstützt LSBTQ-Menschen und deren Familien
Unicef-Kinderweltmonitor 2014
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