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Herantasten an eine bunte Welt
Grafik: Amélie Kai

„Manche Kinder sind ein bisschen neidisch auf zwei Mamas“

27. August 2015

Birgit Brockerhoff, Gründerin der Kölner „ReboKids“, über Regenbogenfamilien – Thema 09/15 Weltenkinder

Sie und Ihre Frau haben zwei Kinder und Sie engagieren sich für die Vernetzung von Regenbogenfamilien in Köln. Wie viele und welche Formen von Regenbogenfamilien gibt es?
Birgit Brockerhoff: Die offizielle Definition besagt, dass bei einer Regenbogenfamilie mindestens ein Elternteil schwul, lesbisch, trans- oder intersexuell ist. Am häufigsten gibt es Mütterfamilien, also ein lesbisches Paar, das Kinder bekommt. Auch alleinstehende Lesben und schwule Pärchen erfüllen sich mittlerweile öfter ihren Kinderwunsch. Immer häufiger tun sich auch drei oder mehr Erwachsene zusammen, um eine Familie zu gründen. Diese Familienform wird Queerfamily genannt. Genaue Zahlen kann ich nicht nennen, weil es dazu keine aktuellen Erhebungen gibt. Schätzungen variieren zwischen 9.000 und 70.000 Kindern, die in Deutschland in Regenbogenfamilien aufwachsen. Die Wirklichkeit wird sich irgendwo dazwischen bewegen.

Welche Möglichkeiten haben gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland, eine Familie zu gründen?

Birgit Brockerhoff
Foto: Presse

ZUR PERSON
Birgit Brockerhoff (47) engagiert sich politisch und sozial für die Vernetzung von Regenbogenfamilien in Köln und NRW. Mit ihrer Frau hat sie zwei Kinder.


Für Frauen, egal ob als Paar oder alleinstehend, ist es tendenziell einfacher, ein Kind zu bekommen. Sie brauchen nur eine Samenspende. Allerdings ist der Zugang zu Samenbanken in Deutschland nach wie vor nur für heterosexuelle Ehepaare offen. Das ist ein entscheidender Punkt der Nicht-Gleichstellung. Es gibt aber trotzdem Möglichkeiten. Viele Lesben mit Kinderwunsch fahren ins Ausland, etwa nach Dänemark, Belgien oder in die Niederlande, und inseminieren dort mit Spendersamen. Die meisten lesbischen Paare finden auf privaten Wegen einen Samenspender. Hier werden dann private Absprachen und Regelungen getroffen, je nachdem welche Rolle der Samenspender einnehmen will und soll.

Wenn der Spender keine aktive Vaterrolle einnehmen soll, ermöglicht es die Stiefkindadoption, dass er von seinen Rechten und Pflichten zurücktritt und die Co-Mutter zum zweiten Elternteil wird – mit vollen Rechten und Pflichten. Manche Spender wollen aber auch eine aktive Vaterrolle einnehmen, so dass das Kind mit drei Eltern aufwächst. In diesen Fällen ist es besonders wichtig, aber leider auch besonders schwer, alle Elternteile gleichberechtigt zu beteiligen. Eine klare Kommunikation, in der über Erwartungen, Wünsche und Ängste gesprochen wird, und eindeutige Absprachen, sind hier nötig.

Für ein schwules Paar ist es deutlich schwieriger, leibliche Kinder zu bekommen. Denn eine bezahlte Leihmutterschaft ist in Deutschland verboten. Auch das geht nur im Ausland, ist aber mit viel Aufwand und hohen Kosten verbunden.

Wie sieht es mit nicht-leiblichen Kindern aus?
Eine Möglichkeit sind Pflegekinder. Inzwischen ist es selbstverständlicher geworden, dass Jugendämter Kinder auch an lesbische und schwule Paare vermitteln. Ein Kind oder mehrere Kinder in Dauerpflege zu nehmen, ist deshalb sowohl für viele schwule als auch für lesbische Paare eine weitere Möglichkeit zum Leben mit Kindern.

Eine Adoption hingegen kommt äußerst selten vor. Das liegt daran, dass man als gleichgeschlechtliches Paar nicht gemeinsam ein Kind adoptieren kann. Es kann nur eine Person das Kind adoptieren. Und dann der Partner oder die Partnerin per Stiefkindadoption. Heterosexuelle Ehepaare werden deshalb in der Regel als Adoptiveltern bevorzugt.

Was bedeutet es für ein Kind, mit zwei Müttern oder zwei Vätern aufzuwachsen?
Für das Kind macht es keinen Unterschied, welches Geschlecht die Eltern haben. Kinder nehmen das als normal wahr, was sie kennenlernen. Bei meinen Kindern war es so, dass sie von Anfang an verschiedene Familienkonstellationen kannten, weil wir Kontakt zu vielen unterschiedlichen Familien haben. Für sie bedeutet Familie: Es gibt einen oder mehrere Erwachsene und ein oder mehrere Kinder. Erst im späteren Kindergartenalter wurde ihnen bewusst, dass die Mehrheit der Kinder mit genau einer Mama und einem Papa zusammenleben.

Ist diese Erkenntnis für Kinder aus Regenbogenfamilien ein Problem?
Nein, für die Kinder ist das kein Problem. Kinder sind, wie gesagt, sehr offen. Sie lernen täglich Neues und die Tatsache, dass andere Kinder nur einen Elternteil oder zwei Mütter oder zwei Väter haben, wird einfach akzeptiert. Ich habe es sogar schon erlebt, dass andere Kinder ein bisschen neidisch darauf waren, dass unsere Kinder zwei Mamas haben. Diese Kinder haben ihren Vater selten gesehen, weil er Vollzeit gearbeitet hat, und fanden die Vorstellung toll, zwei Mütter zu haben. Bei Erzieherinnen und Erziehern, Lehrerinnen und Lehrern oder anderen Eltern stößt eine Familie mit zwei Müttern oder Vätern manchmal noch auf Irritation. Hier sind wir als Eltern gefordert, unsere Familienkonstellation zu erklären.

Ändert sich etwas in der Schule?
Je größer die Kinder werden, desto größer werden auch die potenziellen Probleme. Es ist nunmal so, dass Kinder und Jugendliche in manchen Phasen bei anderen gezielt nach Andersartigkeiten suchen. Ob ein Kind dick oder dunkelhäutig ist, keine Markenkleidung trägt oder gleichgeschlechtliche Eltern hat – es kann zur Zielscheibe werden. „Schwul“ ist nach wie vor eines der beliebtesten Schimpfwörter unter Kindern und Jugendlichen. Auch wenn manche gar nicht wissen, was es bedeutet. Ich bin überzeugt, dass man als Eltern stets offen und gelassen mit der eigenen Situation umgehen sollte. Dann können auch die Kinder ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln und entsprechend auftreten.

Aber nicht nur auf dem Schulhof, auch im Unterricht kommt es immer wieder zu kleineren Problemen. So sollte mein Sohn einmal seine Familie mit Figuren zum Ausschneiden darstellen. Aber es gab nur eine Mutterfigur. Dieses und viele andere Beispiele zeigen, dass Familien oft nicht außerhalb von Vater-Mutter-Kind gedacht werden. Daher müssten Personen, die pädagogisch oder beratend tätig sind, etwa in Kindergärten, Schulen, Arztpraxen oder Beratungscentern entsprechend sensibilisiert und geschult sowie Materialien aktualisiert werden. Dann bekämen Kinder aus Regenbogenfamilien nicht mehr zu hören: Zwei Mütter gibt es doch gar nicht.

Was sollte sich ändern, um es Regenbogenfamilien einfacher zu machen?
Die sogenannte „Ehe für alle“ wäre eine Erleichterung, weil auch Kinder aus Regenbogenfamilien dann in einen klaren juristischen Rahmen hineingeboren werden würden. Aktuell ist vieles kompliziert und mit vielen organisatorischen und rechtlichen Schritten verbunden. Wenn ein lesbisches Paar ein Kind bekommt, ist zunächst nur die leibliche Mutter ein offizieller Elternteil. Die Co-Mutter muss im Rahmen der Stiefkindadoption Hausbesuche und psychologische Befragungen über sich ergehen lassen, einen Lebensbericht, ein Gesundheitszeugnis und ein polizeiliches Führungszeugnis einreichen, um das Kind adoptieren zu dürfen. Erst dann zählen beide Mütter offiziell als Eltern. Die Tatsache, dass das Kind ein gemeinsames Wunschkind ist und die Co-Mutter vom Zeitpunkt der Zeugung beziehungsweise der Geburt an längst die Rolle eines Elternteils übernommen hat, wird nicht berücksichtigt. In einer Phase, in der Eltern sich eigentlich nur um ihr Baby kümmern wollen und sollten, sind sie gezwungen, sich mit vielen bürokratischen Hürden auseinanderzusetzen.

Neben der „Ehe für alle“ wäre es genauso wichtig, Mehrelternfamilien rechtlich zu stärken. Dies würde nicht nur das Zusammenleben in Regenbogenfamilien und Queerfamilien sehr erleichtern. Es würde allen Familien zugutekommen, in denen mehr als zwei Erwachsene Verantwortung für Kinder übernehmen. Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) bietet hierzu viele Informationen und setzt sich für eine rechtliche Gleichstellung ein. Hier in Köln berät das Beratungszentrum Rubicon Regenbogenfamilien. Und ich versuche mit meiner Gruppe „ReboKids“ und der Webseite regenbogenfamilien-koeln.de, ebenfalls einen Beitrag zu leisten. Denn ich finde, sich mit anderen Regenbogenfamilien zu vernetzen und auszutauschen ist für uns Eltern und für unsere Kinder wichtig.


Aktiv im Thema
www.regenbogenfamilien-koeln.de/ 
www.rubicon-koeln.de/ | Unterstützt LSBTQ-Menschen und deren Familien
Unicef-Kinderweltmonitor 2014

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VOGELFREI – Was bedeuten Vögel und industrielle Landschaften für Sie? (Thema im Oktober)
AutorInnen, Infos, Texte, Fotos, Links, Meinungen...
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Interview: Marina Engler

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Konklave

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