Am 19. März 2013 verabschiedete der Kölner Rat eine Resolution. 20 Jahre nach den rassistischen Morden von Solingen und der faktischen Abschaffung des Asylrechts und 40 Jahre nach dem „Gastarbeiterstreik“ in den Ford-Werken, bei dem türkische Arbeitsmigranten mit der Forderung nach Gleichberechtigung in Opposition zu Geschäftsleitung und Betriebsrat die Arbeit niederlegten, begrüßt die Stadt Köln die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU und lobt ihre Integrationsleistungen. Und nur ein paar Absätze weiter wünscht man sich, dass potentielle Arbeitsmigranten aus Rumänien und Bulgarien am liebsten in ihrer Heimat bleiben sollen: „Eine aus struktureller Not entstehende Migration lässt sich nur vermindern, wenn die Menschen bessere Lebensperspektiven in ihren Herkunftsländern vorfinden“. Ansonsten stehe die soziale Balance auf der Kippe.
Es ist nicht schwer, in diesen Aussagen das Echo antiziganistischer Vorurteile von „streunenden“ Sinti und Roma zu entdecken, so wie es einige Kommentatoren in der Presse oder auch der Kölner Flüchtlingsrat getan haben. Hintergrund der neuen Ressentiments gegen Arbeitsmigranten ist die EU-Gesetzgebung. Seit 2007 sind Rumänien und Bulgarien Mitglieder der EU. Ab 2014 gilt auch für diese beiden Länder die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Dann besitzen rumänische und bulgarische Arbeitnehmer das Recht, sich eine Tätigkeit im gesamten EU-Gebiet suchen zu können – genauso wie es deutsche Arbeitnehmer schon heute können. Offensichtlich schürt das Ängste. Kardinal Meisner bezeichnete die Roma als „unfähig, sich in unsere Zivilisation zu integrieren“, die NPD fordert ein „Ende der Zigeunerflut“ und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich malte das Gespenst eines massenhaften Missbrauchs von Sozialleistungen an die Wand, dem er mit Ausweisung begegnen will: „Dann geht ihr bitte dahin wieder zurück, wo ihr herkommt.“
Die Statistik ist eindeutig. Aber die Debatte beherrschen andere Geschichten
Nicht nur die Rhetorik erinnert an die Asylrechtsreform von 1993, die mit jahrelangen Berichten über eine „Asylantenflut“ begleitet wurde. Denn die Zahlen sprechen eine andere Sprache. DasRheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung(RWI) hat in einer Untersuchung festgestellt, dass die Zuwanderer, die seit 2007 aus Rumänien und Bulgarien in die BRD gekommen sind, zu 80% einer Erwerbsarbeit nachgehen. 46% davon sind qualifiziert, 22% sogar hochqualifiziert. Das ist umso erstaunlicher, weil Bulgaren und Rumänen bisher die Arbeit ohne Arbeitserlaubnis in Deutschland nur gestattet ist, wenn sie einen Hochschulabschluss besitzen, oder wenn sie als Selbstständige oder prekäre Saisonarbeitskräfte arbeiten. Und diese kehren in der Regel nach Beendigung ihrer Arbeit in ihre Heimat zurück. Das Netzwerk Migration gibt für das Jahr 2011 147.000 Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien an, dann haben aber 89.000 Deutschland wieder verlassen.
Damit bestätigt die Arbeitsmigration aus Bulgarien und Rumänien einen größeren Trend. „Es ist nicht wie in der ‚Gastarbeiter‘-Generation“, meint der Ökonom Heribert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. „Wir haben immer mehr Biographien, bei denen die Zuwanderung nur eine temporäre Erscheinung ist.“ Er hat im Mai eine Untersuchung über die „Auswirkung der Einwanderung auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat“ veröffentlicht. Darin stellt er nicht nur fest, dass Arbeitsmigranten im Durchschnitt höher qualifiziert sind als der Durchschnitt der deutschen Bevölkerung, sondern auch, dass Zuwanderung ein gutes Geschäft für die deutschen Sozialsysteme ist. Viele Leistungen z. B. aus der Rentenversicherung, die Arbeitsmigranten zustehen, werden von diesen nicht abgerufen und kommen direkt den deutschen Rentnern zugute. Und das Rheinland würde aufgrund seiner Prosperität gleichfalls eher hochqualifizierte Arbeitnehmer anlocken.
Die Debatte beherrschen aber andere Geschichten. Geschichten wie die der „Ekelhäuser“ in der Dortmunder Nordstadt oder der „Arbeiterstrich“ in Köln-Ehrenfeld, wo zumeist männliche Bulgaren als Tagelöhner einfache Dienstleistungen anbieten – ohne Arbeitsvertrag, ohne Sozialversicherung. Und wo schon wieder alle Klischees zusammenkommen. „Zollkontrollen auf der Venloer Straße könnten dazu beitragen, den sozialen Frieden zu wahren“, sagte Rolf Paffenholz von der Polizei Köln im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger. Damit spielte er auf eine Weigerung der Zollbehörden an, die Personen an der Ecke Venloer Straße/Hansemannstraße auf eine Arbeitserlaubnis zu untersuchen. Und macht klar: Ein „sozialer Friede“ herrscht erst dann, wenn bulgarische Arbeitsmigranten nicht mehr öffentlich sichtbar sind. Und nicht etwa, wenn sie die ihnen zustehenden Rechte als Arbeitnehmer oder gar einen angemessenen Lohn erhalten.
Denn das Problem mangelnder Absicherung am Arbeitsplatz betrifft auch Arbeitsmigranten aus anderen Ländern. Horst Küsters von der ver.di ist in Kontakt mit ArbeitnehmerInnen aus Polen, der Ukraine oder aus Spanien und berichtet von vorenthaltenen Löhnen und Urlaubsansprüchen, oder dass die Arbeitgeber keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Auch die Praxis von Vermittlungsagenturen, die Pflegekräfte aus Osteuropa nach Deutschland vermitteln und dabei teils bis zu 1.000 Euro im Monat kassierten, sieht er kritisch. „Es fehlen der Wille und die Mittel zur Kontrolle durch die Behörden“, meint er und berichtet von polnischen Bauarbeitern, die für Unterkunft und 50 Euro im Monat auf einer Großbaustelle in schwindelerregender Höhe arbeiten mussten. Da bekommt „soziale Balance“ gleich eine andere Bedeutung – aber die hat der Rat der Stadt mit Sicherheit nicht gemeint.
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