Adnan Keskins biografischer Roman „Unbedingt Blau“ handelt von linkem Widerstand gegen die türkische Diktatur in den 80er Jahren, einer Liebesgeschichte und einer abenteuerlichen Flucht. Es kamen mehr Menschen zusammen, als es Sitzplätze gab, um an Adnan Keskin zu erinnern, seine Geschichte zu hören, die auch die Vorgeschichte zur heutigen Türkei ist, wie Ralf Berger am 7. Januar in seinem einführenden Vortrag an der Bühne der Kulturen erläuterte.
Der Schriftsteller Dogan Akhanli hat mit Unterstützung von Freunden und dem Projekt Menschenrechte erkennen und Handeln des Allerweltshaus Köln e.V. das Undenkbare geschafft und das Buch seines Freundes Adnan Keskin „Ille de Mavi" auf Deutsch veröffentlicht. Der Verleger war nach nur 19 übersetzten Seiten überzeugt. Die Moderatorin und maßgebliche Übersetzerin des Buches, Hülya Enging, berichtete, dass Adnan im Jahr 1989 begann, aus Zetteln und Tagebüchern ein Jahr lang dieses Buch zu schreiben. Es sei ihm nicht leicht gefallen: Er musste alle Erinnerungen erneut durchleben, aber er hatte Angst, zu vergessen. Und ein Vergessen würde die „Fußnoten der Geschichte“, wie er es nannte, verhindern und der Geschichte der Türkei die Wahrheit nehmen. Seine Frau Nese wollte so sehr, dass er dieses Buch beendet, auch, damit er und die Familie zur Ruhe kommen können.
Adnan Keskin wurde 1957 in dem türkischen Dorf Savsat geboren. Er engagierte sich in den 1970er Jahren in einer linksradikalen Organisation und wurde aufgrund seiner politischen Aktivitäten bald Opfer staatlicher Repression: Im Jahr 1979 wurde er kurzzeitig festgenommen und nach dem Militärputsch am 12. September 1980 von der damaligen türkischen Regierung zum Tode verurteilt. Trotz Folter während seiner Zeit im Gefängnis konnte er, innerlich ungebrochen, nach sieben Jahren Haft zusammen mit zehn weiteren Häftlingen einen Tunnel bauen und aus dem Gefängnis entkommen. Mit seiner ebenfalls politisch aktiven Ehefrau Nese sah er sich zur Flucht aus der Türkei gezwungen. Im Jahre 1987 kamen beide nach Köln und sie halfen Weggefährten wie Dogan zur Flucht. Nachdem ihn die Türkei ausgebürgert hatte, war er seit 2008 staatenlos und durfte seine Heimat bis zu seinem Tod nicht mehr sehen, riechen und schmecken.
In Köln wurde er Mitbegründer des türkischen Menschenrechtsvereins Tüday und ab dem Jahr 2007 leitete er bis zu seinem Tod durch Herzversagen im Januar 2014 das Menschenrechtsprojekt im Allerweltshaus, in dem politische Bildung über Menschenrechtsverletzungen weltweit angeboten wird. Nicht alle seine Visionen konnte er umsetzen, aber er gründete die bis heute erfolgreiche Allerweltsparty, das 1. Menschenrechtsfestival, welches in diesem Jahr zum fünften Mal stattfinden wird und die Aktion „Köln leuchtet“ am Internationalen Tag der Menschenrechte. Er eröffnete mit Dogan die Raphael-Lemkin-Bibliothek im Allerweltshaus. Sie wählten den Namensgeber, ein jüdischer Jurist, da er den Begriff „Genozid“ und den Völkermord im Internationalen Recht verankerte.
Auch wenn – wie es fälschlicherweise auf dem Buchrücken steht und was von seiner Tochter Cagla im Kindesalter geglaubt wurde – der Fluchttunnel nicht direkt aus der Türkei nach Köln führte, hätte ihm dies jeder im Saal zugetraut. Neben der politischen Arbeit, war Adnan gerne gesellig, liebte seine Rosen im Garten, Wein, Zigaretten, gutes Essen, intensive Gespräche, lachen und tanzen.
Das Buch beginnt mit poetischen Gedanken aus dem Gefängnis und endet mit dem Beginn der Flucht. Auch wenn am Ende von der 600 km langen Flucht in drei Tagen, bis zur Scheune nahe der Großmutter und der Woche Erholungsurlaub in Antalya nichts beschrieben ist, um das Helfernetzwerk zu schützen – Adnan hat den Lebenden Pseudonyme gegeben, die Toten mit richtigem Namen geehrt –, ist es ein einmaliges Zeitzeugnis. Es endet mit dem Flug nach Köln. Von da an ist es an seinen Freunden und seiner Familie, sein Lebenswerk in Köln in seinem Sinne zu erhalten.
Adnan Keskin: Unbedingt Blau | Kitab-Verlag | 477 S. | 20 € | erhältlich im Allerweltshaus, Körnerstraße 77, oder über unbedingt_blau@allerweltshaus.de
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