„Wir werden das Denkmal bauen.“ Der Berliner Künstler Ulf Aminde will keine Zweifel aufkommen lassen, wenn es um seine Arbeit geht, um die im Februar eine komplizierte Standort-Diskussion ausgebrochen ist. Wo das Mahnmal hin soll, ist derzeit Gegenstand von Diskussionen und Verhandlungen. Die Bodenplatte mit virtuellen Video-Wänden basiert auf dem Grundriss des Friseursalons, der 2004 beim Nagelbomben-Attentat des NSU zerstört wurde. Die Stadt sieht vor, das Werk in die geplante Bebauung des Grundstücks in der Keupstraße einzufügen, auf dem derzeit kleinere Gebäude auf den Abriss warten. Was die genaue Position angeht, ob östliche oder westliche Ecke, sind unterschiedliche Interessen und Unsicherheiten im Spiel.
„Ihr greift ein Haus an, wir bauen ein zweites wieder hin“, sagt Ulf Aminde mit Blick auf rechtsextreme Terroristen. Die Nagelbombe sei „in der Mitte der Gesellschaft explodiert“, das Denkmal sei für die direkt Betroffenen gedacht, aber auch „für ganz Köln und für uns alle“. Die per Smartphone sichtbaren Filme sollen sich mit der „migrantischen Perspektive in der Auseinandersetzung mit Alltagsrassismus“ sowie mit der Geschichte des Rechtsradikalismus in Deutschland auseinandersetzen. Mit der Zeit könnten Filme ausgetauscht werden.
Gastgeber Tayfun Keltek vom Kölner Integrationsrat war am Samstagabend – genau 14 Jahre nach dem Attentat – wichtig, zu erreichen, „dass auch diejenigen, die davon betroffen sind, auf jeden Fall zustimmen können“. Außerdem sollte über den Standort diskutiert werden. Der Integrationsrat hatte die Einrichtung eines Denkmals 2014 vorgeschlagen und begleitet seitdem den Prozess.
Mehrfache und sekundäre Traumatisierung
Psychotherapeut Dr. Ali Kemal Gün beschrieb die letzten Dekaden seit den ersten Anschlägen auf Asylantenheime 1991 als immer wieder traumatisch für die türkische Gemeinschaft. Die deutschen Türken hätten verstanden: „Wir sind gemeint. Wir sind in Deutschland nicht mehr sicher.“ Mit den NSU-Morden sei es noch schlimmer geworden und die öffentliche Debatte in den Medien – schon im „Ansturm der Armen“ im „Spiegel“ von 1991 – von ausländerfeindlicher Hetze geprägt gewesen, die wiederum Ausschreitungen mit verursacht habe. Das Sicherheitsgefühl der Türken in Deutschland sei zerstört worden und das Verhältnis von „Mehrheitsgesellschaft“ und türkischer Community habe sich in Misstrauen gewandelt. Er erinnerte unter anderem an den Innenminister (Otto Schily), der nach dem Anschlag öffentlich voreilige Schlüsse zu Lasten der Türken gezogen habe.
Traumatisierte würden ihre Erfahrungen auf die nächste Generation übertragen, so Gün. Heute sei es wichtig, das Grundvertrauen wieder aufzubauen, indem man „maximale Transparenz“ walten lasse. Zudem sei die „Schaffung einer Erinnerungskultur“ ein wichtiger Schritt.
Die Umsetzung stockt
Dr. Werner Jung, Leiter des NS-Dokumentationszentrums, gab einen Einblick in den 2014 vom Stadtrat beauftragten und von ihm geleiteten Künstlerwettbewerb zum Mahnmal und erklärte, dass er darin eine „Attraktion“ für Köln sehe, die zudem „gut für das Miteinander“ sei. Ein Gespräch zwischen dem Grundstückseigentümer und Henriette Reker stünde demnächst an. Gegenüber choices widersprach er den Berichten in der Presse, denen zufolge der Eigentümer des Grundstücks von Planungen zu einem Mahnmal nichts gewusst habe.
Dr. Rolf Albach von der FDP schien unter den rund 150 Anwesenden der einzige aktive Politiker zu sein. Gegenüber choices erklärte er, er sehe in dem Mahnmal bzw. der Bodenplatte einen „Stolperstein“, um den man „nicht drum herumkommen“ solle. Es ginge eher um die „Gedankenlosigkeit“ der Menschen, die täglich an dem Ort vorbeiliefen, als um die Anwohner. „Ich glaube nicht, dass wir die Menschen, die dort leben, daran erinnern müssen, was dort passiert ist.“ Das Mahnmal gehöre an die Ecke zur Schanzenstraße, nicht auf die Seite der Stadtbahn und des Clevischen Rings.
Die vielfache Bezeichnung als „Denkmal“ anstatt als „Mahnmal“ auch an diesem Abend sieht Albach kritisch. Der Begriff Mahnmal beziehe sich für ihn weniger auf den Nagelbombenangriff als auf das, „was in den folgenden sieben Jahren mit den Menschen gemacht wurde“.
„Der eine Nachteil des Prozesses war, dass das Denkmal nach der städtebaulichen Entwicklung kam“, erklärt er die derzeitigen Probleme, die noch einiges an Klärung erfordern würden. Der städtebauliche Wettbewerb für das Grundstück habe eine Berücksichtigung des Mahnmals mangels genauerer Pläne nicht verlangt.
Menschen zusammenbringen
Als Teil der Jury stellt Albach sich hinter Amindes Konzept, das sich unter den „sehr unterschiedlichen“ Vorschlägen der zehn ausgewählten Künstler, die eingeladen worden und vor Ort an drei Tagen zusammen mit Opfern und Anwohnern ins Gespräch gekommen seien, doch als klarer Favorit erwiesen habe. „Das stach heraus, das war neu. Das erlaubt am besten, die Menschen zu integrieren. Weil man sehr viele Inhalte hereinbringen und anpassen kann. Man kann Menschen mit dem abholen, was man gezeigt bekommt“, so Albach am Rande der Veranstaltung.
Ulf Aminde sagte in seiner Rede, die „durchmischte“ und „stolze“ Keupstraße habe ihn als Berliner sofort an Kreuzberg „in seinen guten Zeiten“ erinnert.
Meral Sahin, die Vorsitzende der IG Keupstraße, erklärte dem Publikum, das Gefühl herrsche vor, man sei in den letzten Jahren „nicht wirklich weitergekommen“. Auch sei sie der Ansicht gewesen, dass ein Mahnmal nicht gebraucht werde. Inzwischen sehe sie darin aber eine Chance zu menschlicher Begegnung: „Begegnungen helfen uns weiter.“ Daher sei auch entscheidend, dass Besucher vom Mahnmal aus „auch die Menschen der Keupstraße im Blick“ hätten und ihnen so Respekt erwiesen werde.
„Vier Jahre, 2004 bis 2011, haben diese Straße geprägt, etwas zu sein, was vermieden werden muss – ein kriminelles Milieu, Menschen, die sich selber bekriegen, türkisch-kurdische Probleme und so weiter. All diese Menschen sind eigentlich aus dem, was sie waren, herausgewachsen, sie haben vielleicht auch an dem eigenen Rassismus gearbeitet,“ sagt sie.
Dr. Rolf Albach, Vorsitzender des FDP-Stadtbezirksverbandes Mülheim, lobte gegenüber choices Meral Sahins Engagement und erklärte, dass die Keupstraße „das Ganze hier gut mit vorangetrieben hat“.
Schon vor der Veranstaltung erklärte Sahin in einem Facebook-Video des Künstlers, die Frage, wie man den Anschlag und die Ermittlungsfehler in Erinnerung behalten und in Zukunft damit umgehen wolle, ginge die ganze Gesellschaft und nicht nur die Bewohner der Keupstraße etwas an:
„Wir müssen streiten“, fordert Kutlu Yurtseven (Microphone Mafia). „Wir dürfen die Wahrheit nicht den anderen überlassen.“ Der rote Faden seit dem Anschlag sei gewesen, dass „immer über die Köpfe der Opfer weg entschieden“ worden sei, zum Beispiel durch die Eröffnung der Opferberatung fern vom Ort des Geschehens in der Südstadt. Das Denkmal an dieser Stelle sei „ein Muss“. Yurtseven führte mit fünf anderen Schauspielern einen halbstündigen Abschnitt aus dem aufreibenden Stück „Die Lücke“ auf, das sich mit dem NSU-Komplex und deutschen und türkischen Sichtweisen befasst. Dabei werden die Ermittlungsdesaster und der dahinter steckende Rassismus auf Basis von Recherchen aufgearbeitet, genauso wie die psychologischen und kulturellen Aspekte in Zusammenarbeit mit Betroffenen, die auf der Bühne zu Wort kommen.
Tayfun Keltek vom Integrationsrat organisierte die Gedenkveranstaltung zusammen mit der IG Keupstraße, der Initiative „Keupstraße ist überall“ und dem Schauspiel Köln. Ein umfangreiches Kurzfilmprogramm mit deutsch-türkischen Blickweisen und zum Thema NSU wurde von Cana Bilir-Meier und Belit Sağ kuratiert.
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