Wohnflächen sind knapp, glänzende Bürokomplexe begehrt. Nicht selten muss eine Kulturinstitution weichen. Die ehemaligen Fabrikhallen an der Deutz-Mülheimer-Straße 127-129 in Köln-Deutz sind, wie man sich vorstellen darf, höchst attraktiv. Bereits seit 1996 existiert an diesem Ort das Gebäude 9 – Teil des Kunst- und Gewerbehofs (KuGH) – auf dessen Konzertbühne aufstrebende nationale und internationale Künstler aus weiten Gefilden der musikalischen Genres stehen und einige Partyreihen – wie die Gogo Crazy oder Tanzclub Ost – einen geachteten Ruf innehaben.
Pablo Geller und Jan van Weegen haben das Gebäude 9 entstehen lassen und mussten am frühen Morgen des 1. Januar diesen Jahres mit ihrem Team nicht nur jegliches Inventar räumen, sondern auch die Schlüssel abgeben. Erfreulicherweise nur vorübergehend. Und Schlüssel braucht man für nicht vorhandene Türen sowieso nicht. Schon im Jahr 2014 konnte sich der charmante und renommierte Club vor einer Schließung retten – Ergebnis einer ausgeprägt eklatanten Solidaritätskampagne, bei der auch die Politik nicht mehr umhinkam, einen Erhalt des Kultur- und Veranstaltungsortes zuzusichern.
Mit „Cologneo I“, einem Bauprojekt von knapp 350 Millionen Euro, soll ein Territorium aus Gastronomie, Einzelhandel, Kita, Hotel, Hostel und Wohnungen sowie Büroräume entstehen. Etwa 500 Meter weiter vom Gebäude 9 steht die Villa Charlier, ein Fröbel-Kindergarten & Familienzentrum, dessen Kinder als erstes das neue Mülheimer Quartier beziehen konnten.
„Die urbane Transformation ehemaliger Industrie-Areale zu gemischten Quartieren, die Wohnen, Arbeiten, Kunst, Kultur und Gewerbe vereinen, zählt zu den Kernkompetenzen der CG Gruppe“, erklärte Jürgen Kutz vom Vorstand der CG Gruppe in einer Pressemitteilung. „Die Integration kultureller und sozialer Angebote schafft ein lebenswertes Umfeld für die Bewohner.“ Also, Dank an ehrenwerte Philanthropen? Nicht so ganz.
Firmengründer, Vorstandsvorsitzender und einer der reichsten Menschen Deutschlands, Christoph Gröner, ist in Verruf geraten, als er Oberbürgermeisterin Henriette Reker androhte, die Niederlassung Nordrhein-Westfalen nach Düsseldorf zu verlegen, wenn sie den Baubeginn von „Cologneo I“ nicht von Juli auf April vorziehe. Und zeigte damit seine Tendenz, Geld als Werkzeug einzusetzen. Es ist substanziell, welche Interessen eine Immobilienentwicklungsgesellschaft hegt. Reker ließ sich nicht drängen.
Ende einer Zwangspause
Dem Gebäude 9 tut das keinen Abbruch, es gewährt nach 10 Monaten Umbauzeit wieder eine Stätte für exquisites Booking. Hinter den Kulissen wurde es knapp: Es ist der 1. November, am gestrigen Abend hat Reker die neuen Räume feierlich eingeweiht, die Bauabnahme habe am Morgen des 31. Oktober stattgefunden, wie Jan van Weegen auf dem Weg ins Gebäude 9 erzählt. Anlass für die förmlichen Feierlichkeiten war nicht nur der Neuanfang, sondern auch der „Holger Czukay Preis für Popmusik“, den die Stadt Köln an Wolfgang Voigt und Irmin Schmidt verliehen hat.
Es dämmert noch nicht ganz um 17 Uhr, durch Nieselregen laufen wir zu einer Baulandschaft, die sich nicht trister in die Farbnuancen der Wolken camouflagieren könnte. Die weißen Türen blenden und wirken fremd. Während van Weegen ein Foto aus der Umbauzeit zeigt, hat die Band Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen mit dem Aufbau begonnen. Der Betonboden ist so rein, dass man sich fast schämt, mit den regengetränkten Schmutzschuhen durchzulaufen.
„Es ist in enger Absprache mit uns gebaut worden, im Grunde genommen wurde nach unserem Entwurf gebaut. Nur eben vom Eigentümer als Bauherr umgesetzt – unsere Möglichkeiten hätte das komplett überstiegen.“ Mit etwa 250 Gästen rechnet van Weegen, „wir wollten keinen Bohei um die Eröffnung machen, es soll einfach weitergehen”. Später wird Geller erzählen, dass Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen im Vorfeld den leisen Wunsch geäußert hätten: „Wenn ihr wiedereröffnet, dann wollen wir die erste Band sein.“ Im Übrigen die Band, die schon am häufigsten im Gebäude 9 auf der Bühne gestanden hat.
Die elfmonatige Zwangspause hat van Weegen dazu genutzt, um viel „Fahrrad zu fahren – fast 10.000 Kilometer – und am Programm zu arbeiten“, aber auch um sein Engagement als Vorstandsvorsitzender beim Verband KlubKomm auszureifen, der sich für einen Erhalt von Club- und Kulturräumen einsetzt.
Rettung durch Kampagne
„Wir wollen Entwicklungen, wie sie in Ehrenfeld stattgefunden haben, vermeiden. Und vielleicht ist mit dem Gebäude 9 ein Präzedenzfall geglückt. Ohne die Kampagne [Rettet das Gebäude 9, d. Red.] wären wir nicht mehr hier, wir haben sie nicht einmal initiiert, sondern unser Umfeld, Freunde. Das war so überwältigend, auch die Solidarität von KollegInnen. Alle haben so viel Zeit und Arbeit investiert, uns zu unterstützen. Und das hat auch den Druck auf die Stadt erhöht.“
Es ist halb acht, die ersten Gäste stehen vor der noch verschlossenen Türe, die Baugerüste sind hell erleuchtet, das Thekenteam ist in den letzten Vorbereitungen, jemand bringt eine Tüte Eiswürfel. Eine Szene, schon so häufig beobachtet und nostalgisch stimmend. Eine Mitarbeiterin muss sich noch zurechtfinden, freut sich dabei über die neuen Unterbaukühlschränke, eine weitere huldigt der glatten, neuen Theke und ist optimistisch, dass „man sich nicht mehr so viel andötscht“.
Konzertabend, der Club voll, die Gäste durstig. Hanitra erinnert sich an einen Abend vor viereinhalb Jahren: „Oli, Kristine und Seb haben gearbeitet, es wurde immer voller. Sie kamen nicht mehr hinterher und ich habe gefragt, ob sie Hilfe brauchen. Das war mein Initiationsabend.“ Marc ist zwar noch nicht lange im Team, dafür extra aus seiner Heimat Hamburg angereist, um die erste Schicht im neuen Gewand miterleben zu können. Das Gebäude 9 hat bekannterweise die „Beste Thekencrew“ in Köln und das zeigt sich an den langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. „Die Zeit, in der geschlossen war, da habe ich Gebäude 9 sehr vermisst. Es sieht vielleicht etwas anders aus, steht aber immer noch für das gleiche“, so Hanitra. Auch Geller weiß das zu schätzen: „Ich finde es schön, dass wir so viele Leute haben, die schon so lange mit uns zusammen sind, hier haben sich Paare gefunden und eine Familie gegründet.“
„Staropramen ist leider noch nicht da“
Erst Mitte Oktober konnten Abschlussarbeiten wie Estrich verlegen und Installation von Heiz- und Luftanlagen durchgeführt werden. „In den letzten zehn Tagen waren gefühlt alle Gewerke zeitgleich beschäftigt. Als letztes wurden die Malerarbeiten durchgeführt“, sagt van Weegen. Er und Geller wirken wenig aufgeregt, in der Tat machen sie wenig Bohei um die erste (öffentliche) Veranstaltung, sie wuseln durch die Räumlichkeiten, räumen die letzten Stühle vom Vorabend weg, versorgen die Bandmitglieder mit Getränken, kleben Plakate auf.
Als sich die Türen öffnen, ist die Suche nach Orientierung spürbar – den Gästen kann man die Gebäude-9-Nähe ein wenig ansehen – die Gespräche stellen sich ein, die Münder formen ein staunendes O, die Augen wandern durch den Barraum, dessen Theke einmal um die Ecke gewandert ist. Wortfetzen wie „Ich bin total baff“, “War da nicht noch eine Tür“ oder „Der Dachs, der war aber schon da“ füllen den noch nach Farbe riechenden Raum. Neben dem Dachs sind der alte Röhrenfernseher, die Barhocker oder der blaue Stern geblieben. Die Teelichter auf den Stehtischen hingegen sind neu.
Bevor die Liga der gewöhnlichen Gentlemen auf die Bühne kommt, werden The Moriartees als erste Band überhaupt, die neue Bühne einweihen. Seb Hinkel ist nicht nur Sänger und Schlagzeuger der Soul-Punk-Band, sondern ebenfalls langjähriger Mitarbeiter und verkündet während des Auftritts: „The Moriatees ist eine Original-Thekenband dieser Spelunke hier und ein wenig die Versuchskaninchen, ist der Sound ok für euch?“
Der Tontechniker ist seit sieben Jahren dabei, es ist sein vierter Abend in Folge, und erklärt, dass der Konzertraum nicht einfach sei, man sich „einlassen muss, ihn kennenzulernen“. Bonnie Prince Billy hat eines der Konzerte gespielt, die van Weegen in besonderer Erinnerung geblieben sind. „Man munkelte, es sei kein einfacher Musiker, das Berlinkonzert habe er abgesagt, weil ‚Berlin is too far east‘. Natürlich hatten wir auch Sorge, aber er kam, hat gespielt und sich am Ende sogar bei uns bedankt.“
Es mag zwar nach Farbe riechen, noch keine Schmierereien auf den Toiletten geben und noch Staropramen-freie Kühlschränke geben – noch! – doch wie Geller formuliert: „Wir haben mit dem Umbau nicht nur etwas für die Zukunft geschaffen, das Gebäude ist vor allem auch für die Zukunft gerüstet.” Außerdem: Das volle Programm verspricht baldige Annahme von altem Bier, kaltem Rauch und tänzelndem Schweiß in der Luft.
„Als wir anfingen, haben uns viele belächelt“, erinnert sich Geller. „Wir mussten natürlich ständig neu dazulernen. Nach ein, zwei Jahren haben wir uns dazu entschieden, das durchzuziehen. Ab dem Moment hat es auch eine gewisse Ernsthaftigkeit bekommen.“ Van Weegen sei hingegen ziemlich schwarzseherisch gewesen: „‚Wir machen das mal ein Jahr, vielleicht zwei. Und dann werden wir zugemacht.‘“ Mit einer loyalen Anhängerschaft und ausverkauften Konzerten kann er heute vielleicht ruhiger schlafen.
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