So, wie sich die Pornobranche bei ihren Filmtiteln gerne vom Blockbusterkino inspirieren lässt, provozieren auch literarische Bestseller immer wieder mal Parodien – man nehme z.B. den „Herrn der Augenringe“ oder „Barry Trotter“. Diese zeichnen sich häufig durch eher slapstickhaften Haudraufhumor aus, der oft genug unter die Gürtellinie zielt. Wie das bei einem Bestseller gelingen soll, dessen literarisches Niveau bereits gegen Null tendiert, ist fraglich. Im Februar jedenfalls wird die Parodie „Trockenzonen“, deren Autor sich hinter dem Pseudonym „Charles Roch“ verbirgt, zeigen, ob es von den Feuchtgebieten wirklich noch tiefer gehen kann.
Schon jetzt ist allerdings ein Büchlein erschienen, das sich durch Aufmachung und Marketing ebenfalls an den Megaseller des Jahres 2008 anlehnt: Als „Feuchtgebiete des Mannes“ bewirbt der Rowohlt Verlag den „Fleckenteufel“ von Heinz Strunk, und das Cover lässt keinen Zweifel zu, dass Charlotte Roche-Leser angesprochen werden sollen. Mit der Vermarktung seines Romans ist Strunk mittlerweile nicht mehr ganz so glücklich: „Es lag nahe, das Buch satirisch als Antwort auf „Feuchtgebiete“ zu positionieren. Natürlich wird es Leute geben, die mich nun als Trittbrettfahrer titulieren werden. Und was den Verkauf der ersten Auflage betrifft, mag das auch geholfen haben, aber wer sich die Mühe macht, das Buch zu lesen, wird merken, dass das Unsinn ist. Es ist ein sehr schönes Büchlein rausgekommen, und wir überlegen, bei weiteren Auflagen von der jetzigen Covergestaltung abzugehen.“
Der Verdacht, es handele sich, so kurz nach Erscheinen seines zweiten Romans „Die Zunge Europas im Herbst 08“, um einen marktbedingten Schnellschuss, räumt Heinz Strunk im Gespräch allerdings aus: „Die Zunge Europas“ hatte ich ja schon im September 07 abgeschlossen, „Fleckenteufel“ ist eher ein Gelegenheitswerk. Als Charlottes Roman herauskam, war ich verblüfft, was da reingeheimst wurde, wie die Feuilletons verrückt gespielt haben. Das hat mich sozusagen inspiriert, das Ganze einmal „gut“ zu schreiben. Schließlich habe ich mich rund zehn Jahre lang eher im Verborgenen an der Thematik abgearbeitet, mit Hörspielen. Eigentlich hatte ich das für mich bereits abgeschlossen, dieses ganze Pipikacka-Zeug. Mit 46 sollte das möglich sein.“
Strunk schätzt dabei die Qualität seines „Gelegenheitsromans“ durchaus richtig ein. „Fleckenteufel“ ist im Gegensatz zu „Feuchtgebiete“ ein unterhaltsamer und sorgsam strukturierter Roman mit Witz und Charme – und das, obwohl es um Verdauungsprobleme, Masturbationsphantasien, alkoholische Exzesse und Morgenandachten auf einer evangelischen Jugendfreizeit im Jahr 1977 geht: Erzählt wird aus der Ich-Perspektive des sechzehnjährigen Thorsten. Thorsten, für sein Alter noch recht klein, wird von seinem Darm geplagt. Noch kurz vor der Abreise kam es zu einer spontanen und dünnflüssigen Entleerung, die Busfahrt wird zu einer Tortur für die Rosette. Doch seit die Gruppe in Scharbeutz angekommen ist, quält ihn die Angst vor einem Darmverschluss. Mahlzeit auf Mahlzeit sammelt sich in seinen Eingeweiden an, Erlösung scheint nicht in Sicht. Ähnlich angestaut ist seine sexuelle Energie, die sich in beiderlei Richtungen Bahn zu brechen sucht. Tagträume von Andreas, dessen Rute sich in den Wranglers überdeutlich abzeichnet, wechseln ab mit einem Verlangen nach Susanne, der „Göttlichen, Unberührbaren“. Bei Strunk ist die Handlung nicht Vorwand für eine Aneinanderreihung von Ekelsequenzen, vielmehr erzählt „Fleckenteufel“ sehr lebensnah von den Irrungen und Wirrungen der Pubertät, insbesondere von den diffizilen gruppendynamischen Prozessen in dieser Altersgruppe. Das Wechselbad von Coolness und Gefühl, der schmale Grat zwischen dem Wunsch, erwachsen zu sein und der gleichzeitigen Sehnsucht nach kindlicher Sicherheit in festen, ritualisierten Strukturen, kleidet er in passende Bilder – etwa, wenn Thorsten, der sich auf der einen Seite noch nach der heilen Welt der „5 Freunde“ sehnt, nun Charles Bukowski für sich entdeckt.
Bemerkenswert ist, dass Strunk auch bei farbenfrohen Schilderungen diverser Ausscheidungen nicht wirklich Ekelgrenzen überschreitet. Hier sieht er auch seine Stärke: „Wer sonst könnte über Ekliges so schreiben wie ich, dass es nicht eklig ist, dass die Komik überwiegt und nichts abstoßend ist?“, erklärt er selbstsicher. Möglichen Fragen nach der autobiographischen Komponente sieht er gelassen entgegen: „Ich bin ja einer der wenigen Autoren, die damit sehr offen umgehen, die sich nicht hinter dem Rücken ihrer Romanfiguren verstecken. Durch meine Arbeiten zieht sich der rote Faden der Wahrhaftigkeit.“ Und ein Beispiel dafür hat er auch: „Gott sei Dank ist das heute nicht mehr so schlimm, aber wenn ich früher an einen fremden Ort gefahren bin, konnte ich da erst mal nicht auf Toilette.“ So verhält es sich auch mit den homoerotischen Komponenten des Romans: „Ich habe nie drüber nachgedacht, ob da nun jemand sagen könnte „was war denn da mit dem Strunk los“ oder auch „was ist mit dem los“. Ich denke, gerade in der Zeit der Pubertät sind viele Jungs noch sexuell desorientiert, vom Aussehen her eher androgyn, die Mädchen wollen noch nicht so recht, und man traut sich vielleicht auch nicht ran. Viele haben die ersten sexuellen Erfahrungen zunächst mit dem eigenen Geschlecht – auch wenn sie für sich schon wissen, dass sie nicht schwul sind.“
Doch auch abgesehen von den autobiographischen Verweisen ist Heinz Strunk mit „Fleckenteufel“ ein authentisches Zeitportrait der deutschen Provinz in den 1970er Jahren gelungen: Der Geist der RAF spukt selbst durch die Jugendfreizeit, und die Nachricht von Elvis Presleys Tod findet erst mit einem Tag Verspätung ihren Weg nach Scharbeutz – eingebettet in die Andacht von Pastor Schmidt. Überhaupt, die Andachten: Hier sind Strunk groteske Collagen gelungen, die explizit mit Originalzitaten arbeiten. Derart abstruse Gleichnisse kann sich kein Autor ausdenken, dazu muss man Theologie studiert haben...
Zum Redaktionsschluss wies die Lesereise von Heinz Strunk noch keine Termine im Ruhrgebiet aus. Das soll sich aber möglichst ändern: „Schließlich ist mein Hörbuchverlag in Bochum, da muss ich auf jeden Fall vorbeischauen.“
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