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Die Invasion der Barbaren

Die Invasion der Barbaren
Kanada/Frankreich 2003, Laufzeit: 99 Min., FSK 12
Regie: Denys Arcand
Darsteller: Remy Girard, Stéphane Rousseau, Marie-Josée Croze, Marina Hands, Dorothee Berryman, Johanne-Marie Tremblay, Pierre Curzi, Yves Jacques, Louise Portal, Dominique Michel, Sophie Lorain, Antonio Cecchinato, Mitsou Gelinas, Isabelle Blais, Markita Boies, Micheline Lanctôt

Die Protagonisten aus "Der Untergang des amerikanischen Imperiums" sind 17 Jahre älter geworden. Einer von ihnen ist todkrank, so kommen alle noch einmal zusammen. Zwei erwachsene Kinder sind dabei, es gibt Konflikte und späte Versöhnung. Eine heiter-wehmütige Reflexion über alte Ideale und neue Realitäten.

Susan Sontag zitierte in ihrer Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels aus den "Studien zur klassischen amerikanischen Literatur" von D.H. Lawrence, das vor 80 Jahren erschienen ist: "Man bekommt nie etwas Neues, ohne etwas Altes kaputt zu machen." Und die Amerika-kritische Intellektuelle bezieht dieses Statement eines Europäers zu den Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten auf den historischen Umstand, dass "die Vergangenheit Europa ist (oder war), und Amerika auf der Idee eines Bruchs mit dieser Vergangenheit gegründet wurde." Die hiesigen Kriterien "für das, was überlegen und am besten sei" gelten drüben "als durch und durch undemokratisch" oder "elitär".

Montréal, Heimatstadt des kanadischen Regisseurs Denys Arcand, liegt nur eine Stunde von der Landesgrenze der USA entfernt. Antiamerikanische Tendenzen, besonders in intellektuellen Kreisen, sind in Kanada weit verbreitet. Es kommen einem die wahnwitzigen Szenen aus Michael Moores "Bowling für Columbine" in den Sinn, als er in Kanada allerorten unverschlossene Haustüren vorfindet, während im paranoiden Mutterland der Demokratie alles verrammelt ist und die 45er Magnum unterm Kopfkissen liegt. Hat sich diese Angst vorm ständig drohenden "Bösen" nicht durch die Terroranschläge des 11. September als berechtigt erwiesen? Ein Fernsehkommentator sprach damals von einer "Invasion der Barbaren". Der Chronist des "Untergangs des amerikanischen Imperiums" (der Titel von Arcands Welterfolg aus dem Jahre 1986) ist 17 Jahre später dem Dilemma weiter auf der Spur.

Um den todkranken Rémy versammelt sich die Clique von damals. Arcand ist es gelungen, sämtliche Darsteller für dieses Wunschprojekt wieder vor die Kamera zu bekommen. Die Alt-Linken und Bohémiens von damals sind noch da. Aber es gibt auch erwachsen gewordene Kinder wie Sébastien, Rémys Sohn, der Broker und Kapitalist, für den der Vater immer nur Verachtung hegte. Die drogenabhängige Nathalie, Tochter von einer der zahlreichen Ex-Geliebten des College-Dozenten, besorgt das schmerzlindernde Heroin - das Sébastien bezahlt - und spricht es Rémy gegenüber offen aus: "Sie hängen an Ihrer Vergangenheit. Und die Vergangenheit ist schon längst gestorben."

Arcands Meisterschaft besteht darin, seine Geschichte in einem gleichermaßen irritierenden wie klar-präzisen Spiegel-Verhältnis in der Schwebe zu halten. Auf der einen Seite die "alten" Ideale, die einmal die "neuen" waren. Sexuelle Befreiung, Solidarität, der Triumph des Geistes über das Geld. Was ist daraus geworden? Promiskuität, staatlicher Dirigismus, die endgültige Okkupation alles Kreativen und Spielerischen durch die Unterhaltungsindustrie. Auf der anderen Seite der "neue" Pragmatismus, der im Vergleich zu den "alten" Werten erschreckend sarkastisch erscheint. Jedes Problem lässt sich hier mit Geld lösen, und tatsächlich verschafft Sébastien auf diese Weise seinem Vater einen würdigen Tod.

Der Effekt des genialen Drehbuchs ist es, dass sich trotz der tief pessimistischen Grundstimmung eine wohldosierte Heiterkeit breit macht. Der Betrachter kann diese raffiniert komponierte Reflexion über das Alte und das Neue genießen, die ihrerseits die Einstellung eines Filmemachers widerspiegelt, der von sich selber sagte: "Die ständige Beschleunigung des Lebens und das Getöse der Medien stoßen mich ab. Manchmal werde ich als Zyniker hingestellt. Für mich geht es aber nur darum, die Wirklichkeit zu beschreiben."

(Heinz Holzapfel)

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