Mittagsstunde
Deutschland 2022, Laufzeit: 120 Min., FSK 12
Regie: Lars Jessen
Darsteller: Charly Hübner, Gro Swantje Kohlhof, Lennard Conrad, Hildegard Schmahl, Peter Franke
>> mittagsstunde-film.de/
Facettenreiche Charakterstudie
Vom Zurückkommen und Verschwinden
„Mittagsstunde“ von Lars Jessen
Die Romane der Schriftstellerin Dörte Hansen sind im Norden der Republik angesiedelt und schildern Situationen, die oftmals wie hinter einem Nebelschleier zu liegen scheinen. Vieles bleibt bei ihr lediglich in Ansätzen stecken und überlässt es den Leser:innen, sich die Fehlstellen selbst zusammenzureimen. Hansens Debütroman „Altes Land“ wurde im Jahr 2020 bereits erfolgreich als Zweiteiler fürs Fernsehen adaptiert, nun hat sich Lars Jessen „Mittagsstunde“ vorgenommen und auf die große Leinwand gebracht. Jessen ist ein Experte für die nordische Lebensart und hat in seinen bisherigen Filmen „Am Tag als Bobby Ewing starb“ oder „Dorfpunks“ bereits ein überzeugendes Bild von Land und Leuten entworfen. „Mittagsstunde“ ist größtenteils im nordfriesischen Plattdeutsch gehalten, aber die Untertitel ermöglichen es auch denjenigen, die des Dialektes nicht mächtig sind, der Handlung zu folgen (zusätzlich gibt es auch eine leichter verständliche norddeutsche Fassung!). Diese springt auf verschachtelte Weise zwischen Ereignissen in den 1970er Jahren und 2020 hin und her, um nach und nach das Bild einer ungewöhnlichen Familie zu entwerfen.
Universitätsprofessor Ingwer (stark: Charly Hübner) hat sich für ein Sabbatjahr entschieden, um seine greisen Eltern im friesischen Brinkebüll zu versorgen. Die beiden stehen kurz vor ihrer Gnadenhochzeit, aber Ella (Hildegard Schmahl) ist dement und Sönke (Peter Franke) körperlich beeinträchtigt. Mit der Rückkehr auf den Gasthof der Familie werden Erinnerungen Ingwers an seine Jugend in den 1970er Jahren wieder wach, als er mit den beiden und der geistig verwirrten Marret (Gro Swantje Kohlhof) auf dem platten Land aufwuchs. Er erinnert sich an Tage im Schankraum, Spielen in den Feldern und das komplizierte Personengeflecht in seiner Familie, über das sich die Dorfbewohner gerne das Maul zerrissen haben. Nach und nach bekommt auch das Publikum die nötigen Informationen geliefert, um sich das Familienbild im Geiste zusammenzusetzen.
Eine der Stärken von Lars Jessens Film liegt sicherlich in der Tatsache begründet, dass die Geschichte sich vor den Augen seiner Zuschauer nur nach und nach entrollt. Auch hier kommt einem wieder das Bild einer Nebelbank in den Sinn, die sich nur allmählich lichtet und den Blick auf die Geschehnisse und Zusammenhänge freigibt. Die Atmosphäre, die der Filmemacher damit in „Mittagsstunde“ erschaffen hat, ist mit der aus Hansens Romanen weitgehend identisch. Damit geht auch einher, dass nicht alle losen Enden verknüpft, nicht alle Fragen beantwortet werden. Aber gerade das macht auch die Faszination der Geschichte aus. „Mittagsstunde“ benötigt weder dramatische Zuspitzungen noch vordergründige Spannungsmomente, um sein Publikum zu fesseln. Denn das Charakterdrama ist ausgesprochen gut besetzt, und die famosen Darstellerleistungen ziehen einen schnell in die Ereignisse hinein. Noch viel zu selten werden Filme in und über Norddeutschland realisiert. Von der Qualität von „Mittagsstunde“ dürften es künftig gerne mehr sein.
(Frank Brenner)
Kino als Empathie-Maschine
Warum wir Kino in Zukunft mehr brauchen denn je – Vorspann 01/25
Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24
Übers Ankommen in Deutschland
„Zwischen Sein und Nichtsein“ von Leocadie Uyisenga – Film 12/24
Toleranz zum Jahresende
Mit Kino zu mehr Empathie finden – Vorspann 12/24
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24