Porträt einer jungen Frau in Flammen
Frankreich 2019, Laufzeit: 120 Min., FSK 12
Regie: Céline Sciamma
Darsteller: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami
>> portraeteinerjungenfrauinflammen.de/
Emanzipatorische Kunst- und Liebesgeschichte im 18. Jahrhundert
Bilder einer ungeschriebenen Geschichte
„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ von Céline Sciamma
Das mit den Flammen ist wörtlich zu nehmen. Und zugleich ist es auch eine Metapher. Wie so Einiges im neuen Film der französischen Regisseurin Céline Sciamma. Doch so doppeldeutig (in diesem Fall sogar dreifachdeutig) hier vieles ist – sowohl auf der Text- als auch auf der Bildebene, so wenig überfrachtet und schwer wirkt „Porträt einer jungen Frau in Flammen“. Eine Insel vor der Küste der Bretagne im Jahr 1770: Hier lebt eine verwitwete Gräfin in einem einsamen Schloss. Und seit neuestem wohnt hier auch wieder ihre Tochter Héloïse, die aus dem Kloster geholt wurde, nachdem ihre Schwester gestorben ist. Eigentlich sollte die Schwester mit einem angesehenen Mann aus Mailand verheiratet werden. Die Gräfin wünschte die Hochzeit, zieht es sie doch unter Menschen in den warmen Süden. Nach dem Tod der Braut in spe soll nun Héloïse verheiratet werden. Doch dafür muss zuerst ein Porträt von Héloïse angefertigt und anschließend nach Mailand geschickt werden. Héloïse will aber gar nicht heiraten, vor allem keinen Mann, den sie nicht kennt. Einen Maler hat sie bereits vergrault. Doch die Gräfin hat einen neuen Plan: Sie engagiert die Pariser Malerin Marianne, die Héloïse bei den täglichen Spaziergängen an der Küste begleiten soll, um dann abends heimlich an dem Porträt zu arbeiten. Héloïse ist Marianne gegenüber reserviert. Doch nach ein paar Tagen kommen sich die beiden Frauen näher und emanzipieren sich von den ihnen zugedachten Rollen.
Céline Sciammas Langfilmdebüt „Water Lilies“, eine zarte Geschichte um jugendliche Synchronschwimmerinnen und ihr sexuelles Erwachen, erlebte auf dem Filmfestival in Cannes seine Premiere. Der Nachfolger „Tomboy“ um ein zehnjähriges Mädchen, das ein Junge sein möchte, hatte 2011 auf der Berlinale Premiere und „Mädchenbande“ („Bande de filles“) um eine Gruppe schwarzer Mädchen in den Pariser Banlieues hatte seine Uraufführung wiederum 2014 in Cannes. Dort lief in diesem Jahr auch Sciammas neuester Film „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ und erhielt den Preis für das beste Drehbuch. Die Entscheidung ist nachvollziehbar. Jeder Satz sitzt hier in seiner Klarheit genau an der richtigen Stelle. Das spürt man umso mehr, da gar nicht so viel gesprochen wird. Der verbale Schlagabtausch zwischen Marianne und Héloïse ist oft klug, mitunter auch von keckem Humor durchsetzt. Die Blicke, die die beiden – voller Leidenschaft von der Neuentdeckung Noémie Merlant als Marianne und der im französischen Kino zu Recht omnipräsenten Adèle Haenel gespielten Frauen – tauschen, sind ebenso vielsagend.
Überhaupt übernehmen die Bilder einen großen Teil des Textes. Sie sprechen Bände. Doch auch sie sind ruhig. Einstellungen stehen lange, um ihre Wirkung zu entfalten. Meist hat man das Gefühl, als würde man bewegte Gemälde im Sinne eines „Tableau vivant“ des 19. Jahrhunderts betrachten. In dieser Hinsicht erinnert der Film an Peter Webbers Vermeer-Film „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ aus dem Jahr 2003. Einige Einstellungen arbeiten mit einer ähnlich faszinierenden Lichtsetzung und auch der Faltenwurf der Kleider erinnert an die niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Außenszenen am Meer hingegen lassen an die Befreiung der Malerei durch den Impressionismus denken, als die Staffelei ans Sonnenlicht getragen wurde. An den Bildideen, die mitunter sogar in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts oder auch unsere Gegenwart ausstrahlen, merkt man, dass Sciamma an einem historischen Realismus nur bedingt interessiert ist. Es geht ihr vielmehr darum, einer ungeschriebenen Geschichte zu ihren Bildern zu verhelfen. Es ist die Geschichte der Frauen, die in diesem Film eine Identität jenseits der ihr gesellschaftlich zugestandenen Rolle entfalten. In einem Film, der ohne männliche Figuren auskommt und stattdessen einen weiblichen Blick und eine weibliche Solidarität feiert. Wie weit man die Texte und Bilder, die Céline Sciamma für ihr emanzipatorisches Doppelporträt entwirft, entschlüsselt, liegt bei jedem Einzelnen. Ein Studium der Kunstgeschichte erweitert das Bild. Emotional packt einen der Film aber auch ohne Vorwissen und ganz unvermittelt und mit voller Kraft.
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