Guillaume Carpentier begann vergangenen September seine Ausbildung zum Maskenbildner an der Oper Köln – kurz bevor die Oper für ein halbes Jahr ihre Türen für Publikum schließen musste. Im Interview erzählt der Auszubildende von der Magie seines Berufs und den Herausforderungen, die eine stark veränderte Arbeitswelt mit sich bringen.
choices: Herr Carpentier, ich treffe Sie gerade während der Aufführung von Charles Gounods „Faust“. Ihre darstellenden Kollegen sehen bereits großartig aus. Wie verwandeln Sie sie in die Figuren, die wir auf der Bühne sehen?
Guillaume Carpentier: Was Sie auf der Bühne sehen, ist nur das Endergebnis meiner Arbeit. Die eigentliche Vorbereitung fängt schon sehr viel früher an. Für „Faust“ tragen die Statistinnen Rokoko-Perücken. Die sind sehr hoch, voluminös und äußerst markant – stellen Sie sich Marie Antoinette vor. Und diese Perücken müssen per Hand geknüpft und anschließend frisiert werden. Als Auszubildender brauche ich allein für das Frisieren fünf Tage. Die Haare einzeln zu einer Perücke zu knüpfen, dauert natürlich noch länger. Zwei bis drei Stunden vor der Vorstellung beginnen wir die Schminkplätze aufzubauen, setzen Masken an und schminken die Darstellenden. Es ist wunderschön, Leute zu verwandeln, das ist wirklich magisch. Es hilft den Schauspielenden in die Rolle zu schlüpfen. Man steht zwar nicht selber auf der Bühne, aber man vibriert mit allen zusammen.
Sie haben Ihre Ausbildung im September 2020 begonnen, kurz vor den langen Schließungen. Auftritte wie den heutigen gibt es erst seit Juni diesen Jahres. Was haben Sie im letzten halben Jahr gemacht?
Meine Freunde und Familie haben sich auch gewundert – eigentlich sind doch alle Opernhäuser geschlossen, was also habe ich zu tun? Doch komischerweise waren die letzten Monate sehr voll. Die Oper hat die Stücke als Stream angeboten. Und auch wenn gerade nicht gefilmt wurde, haben dennoch Proben stattgefunden. „Faust“ hatte vier Hauptproben mit Kostüm, Maske und Technik. Da ist unsere Arbeit in der Maske die gleiche wie bei einer Vorstellung, nur ohne Publikum. Und ansonsten habe ich die Zeit genutzt, mich auf meine Prüfungen vorzubereiten.
Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit, Darsteller für die Kamera anstelle der Bühne zu schminken?
Das Maskenbild für die Kamera ist ein ganz anderes als das, was für die Bühne geschminkt wird. Die Kamera fängt Details viel genauer ein. Zuschauende sind dadurch viel näher dran. Wenn Sie Opernsänger*innen im Tageslicht sähen, dann würden Sie denken, das sind Clowns. So sähen sie auch bei einer Nahaufnahme aus. Daher muss deutlich leichter und dezenter geschminkt werden. Was aber natürlich das Lernen nicht einfacher macht. Eigentlich möchte ich ja lernen, wie man für die Opernbühne schminkt. Da schminkt man für die sechste Reihe, also sehr viel stärker. Aufgrund des starken Bühnenlichts würde man ansonsten ohne Schminke keine Nase sehen, keine Lippen und so kleine Punkte anstelle der Augen.
Das klingt herausfordernd. Wie empfinden Sie diese veränderten Arbeitsbedingungen?
Ich sehe das auf jeden Fall als Chance, aber ich bin auch im ersten Jahr. Meine erste Zwischenprüfung kommt erst im April 2022. Für mich war das ein Übungsjahr, denn so wurde ich nicht direkt ins kalte Wasser geschmissen. Andere hatten diese Chance nicht. Viele Schüler*innen meiner Berufsschule sind in kleineren Theatern, auch in privaten Theatern angestellt. Die waren die letzten Monate über im Homeoffice, da es in den Werkstätten nichts zu tun gab. Besonders im ersten Jahr ist das dann besonders schwierig. Man weiß ja noch gar nicht, was erwartet wird und wie man die Theorie praktisch umsetzen soll, und niemand ist da, um das zu zeigen. Der Praxisunterricht der Berufsschule hingegen ist bisher ausgefallen. Wir müssen im Praxisunterricht viel Schminken und eng mit anderen Menschen zusammenarbeiten. Dieses Risiko wollte die Schule nicht eingehen. Ich konnte mich immerhin mit meinen Kolleg*innen austauschen und jederzeit in die Werkstatt der Oper, um dort zu üben.
Gibt es ein Netzwerk, das Sie unterstützen kann?
Auf Facebook gibt es verschiedene Gruppen für professionelle Maskenbildner*innen. Ich bin auch bei einigen Mitglied. Häufig suchen darüber Selbstständige Aushilfen, beispielsweise für Filmdrehs. Alle haben gerade Schwierigkeiten mit Angeboten, aber so versucht man sich gegenseitig zu helfen.
Ihre Ausbildung dauert noch etwa zwei Jahre. Was erhoffen Sie sich danach und mit welchen Gefühlen denken Sie über Ihre Zukunft nach?
Um meine persönliche Zukunft mache ich mir weniger Sorgen. Ich habe bereits in der Vergangenheit sehr viele Erfahrungen sammeln dürfen – an Theatern in Kanada, Frankreich und Berlin. Ich wünsche mir auch nach meiner Ausbildung eine sichere Anstellung bei einem Theater oder einem Opernhaus. Aber die Kulturbranche hat zuletzt sehr stark gelitten. Was passiert mit ihr, wenn wir immer wieder solche Pandemien haben? Ich hoffe, es wird den Menschen klar, wie wichtig unsere Kulturbranche ist. Da müssen wir weiter dran arbeiten. Aber die Maskenbildnerei ist so vielfältig, dass es für uns immer was zu tun geben wird.
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