Pater Cletus Wingen über das Leben in einer brüderlichen Glaubensgemeinschaft – Thema 09/16 Brüderlichkeit
choices: Pater Cletus, Sie sind Bruder in einem Orden, was bedeutet das für Sie? Pater Cletus: Das ist ja gleich die schwierigste Frage zu Anfang. (lacht) Für mich ist grundsätzlich, dass ich Teil einer Gemeinschaft bin. Selbst in der heute stark individualisierten Gesellschaft hat sich die Gemeinschaft immer noch als Grundlage des Zusammenlebens gehalten. Wir alle sind Teil von Gemeinschaften, leben in Familien und Freundeskreisen. Aber da, wo Gemeinschaft ist, da muss es auch exemplarische Gemeinschaften geben. Gemeinschaften, die gewissermaßen das Christsein beispielhaft leben. In der Geschichte der Orden und Klöster haben sich Menschen immer schon verbündet, um gemeinsam zu leben. Und aus diesem Geist heraus sind in der frühen christlichen Zeit erst mal die Mönchsorden entstanden. Wir sind aber kein Mönchsorden.
Sie gehören dem Dominikanerorden an…
Pater Cletus Wingen
Foto: Bernhard Krebs
Zur
Person: Pater Cletus Wingen (74) gehört dem Dominikaner-Orden an und
ist geweihter Priester. Er ist in Köln geboren und
ging auf das Hansagymnasium, wo er Abitur machte. Mit 19 Jahren
entschied er sich den Dominikanern beizutreten. Er studierte
Philosophie, Theologie, Mathematik und Pädagogik. Er arbeitet
regelmäßig als Seelsorger in der Kirche Sankt Andreas im Zentrum
Kölns.
…richtig. Wir sind ein Bettelorden wie die Franziskaner und die anderen Orden, die zur franziskanischen Familie gehören. Für uns ist nicht die Existenz im Kloster entscheidend. Die Dominikaner waren von Beginn an Wanderprediger, die das Beispiel Jesu im positiven Sinn imitiert haben. Unsere Vorfahren haben nach der Gründungszeit des Ordens unglaubliche Strecken zurückgelegt um das Wort Gottes zu verkündigen. Ganz ehrlich, das ist für uns heute noch erstaunlich, welche Strecken die zurückgelegt haben.
Also waren die ersten Dominikaner sowas wie Einzelkämpfer? Ja und nein. Man war immer auch wieder mit anderen unterwegs. Darum musste ja auch Struktur in die Sache gebracht werden. Die Klöster wurden gebildet, um im Mittelalter dem Problem rumvagabundierender, sektiererischer Gruppen Herr zu werden.
Kommen wir ins Hier und Jetzt: Was steckt hinter ihrem Leben hier im Kloster Heilig Kreuz in Köln? Es ist die Idee, dass wir im Miteinander das Evangelium leben. Das heißt den christlichen Glauben leben und das Evangelium verkündigen. Für mich sind das die beiden Aspekte, die wichtig sind.
Wie schlägt sich das konkret nieder? Heute bin ich auf meinem sogenannten Altenteil…
…also im Ruhestand? Es sollte ein Ruhestand sein, aber das gibt’s bei uns im Grunde genommen gar nicht. Ich habe immer noch viele Aufgaben. Wir haben mit Sankt Andreas, wo das Grab von Albertus Magnus ist, ja eine Filiale am Dom. Dort sitze ich freitagsnachmittags drei Stunden im Beichtzimmer und warte, was passiert. Ob jemand kommt, weiß man nicht. Manchmal kommt keiner, letzte Woche waren gleich zwölf Menschen da. Aber das ist meistens keine traditionelle Beichte im Stuhl. Das wollen nur noch ältere Menschen und Polnisch stämmige – die sind das so gewohnt. Die überwiegende Mehrheit will Seelsorgegespräche führen. Des Weiteren bin ich Seelsorger in einem benachbarten Jugendcafé das von der Caritas geführt wird. Da kommen auch sehr viele Flüchtlingskinder hin und verbringen dort ihre Nachmittage. Viele von ihnen sind sehr traumatisiert durch ihre Fluchterfahrung. Ich selbst muss zugeben, dass die Kommunikation mit den Kindern und Jugendlichen eher schwierig ist. Bei meinen Besuchen dort bin ich in erster Linie Ansprechpartner und Seelsorger für die Mitarbeiter dort. Und dieses Angebot nehmen die auch gerne und regelmäßig an.
Was macht das alltägliche Leben in einem Orden aus? Wir beten miteinander und leben in der Gemeinschaft. Neben dem Gebet ist das gemeinsame Essen – besonders am Mittag – ein Anker im Alltag. Bevor wir uns an den Tisch begeben, gehen wir in unsere Klosterkirche und beten gemeinsam. Wir haben da so einen Stuhlkreis, manche Brüder mögen den nicht so und nennen ihn ein bisschen despektierlich die Ritter der Tafelrunde. Aber auch im Dienst an unserer Kirche hier in Heilig Kreuz und in St. Andreas wirken wir gemeinsam und organisiert. Für mich ist diese kleine betende und tätige Einheit gewissermaßen Kirche – anders kann ich das gar nicht sagen.
Früher haben Sie unter anderem als Lehrer für Erdkunde und Mathematik in Vechta gearbeitet. Was passiert in einem Bettelorden mit den Bezügen, die sie für die Arbeit erhalten? Die gehen natürlich direkt an den Orden. Ich brauche ja auch nichts, für mich ist ja gesorgt. Essen oder Kleidung – immer wenn ich was brauche, bekomme ich es. Zudem erhalten alle von uns ein bescheidenes Taschengeld, wenn man mal in eine Kneipe, mit Freunden oder Familie in ein Restaurant oder ins Kino gehen will.
Das klingt, als gingen Sie vollkommen in ihrem Orden auf. Ist da noch Platz für Individualität? Bei uns ist es wichtig, dass die Individualität erhalten wird. Wenn Sie durch unsere Zimmer gehen…
…ich dachte das heißt Zelle? Wir haben keine Zellen, wir haben Zimmer. Und wenn Sie die sehen, dann würden Sie sich wundern, wie individuell die gehalten sind. Ich kann Ihnen das gleich gerne zeigen, ich habe heute Morgen sogar Staub gewischt, aber nicht richtig aufgeräumt. (lacht). Mir ist wichtig, dass ich dieses Zimmer habe, von dem ich sagen kann, das ist meins, da ist mein Rückzugsraum.
Sie wurden in ihrem Leben auch mehrmals versetzt. Wie unabhängig sind Sie als Mitglied eines Ordens? Von Vechta wurde ich nach Worms versetzt. Dem musste ich natürlich folgen. Plötzlich war ich Oberer in einer kleinen Kommunität. Mein Auftrag lautete, das Kloster dicht zu machen. Aber ich habe öffentlich in der Predigt klargemacht: Ich bin nicht gekommen um den Stöpsel aus der Badewanne zu ziehen. Wir haben dann das Haus renoviert und 1993 kam das Noviziat dorthin, wo die Neuen ihre Ausbildung beginnen. Das Noviziat ist übrigens heute noch dort.
Thema im Oktober FRAUENRECHT Burkadebatte, Sexualstrafrecht und wer davon profitiert Wo es bei der Gleichberechtigung noch hakt. Je nackter desto freier? Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de.
Interview: Bernhard Krebs
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