choices: Herr Yurtseven, wie haben Sie den Anschlag vor zehn Jahren erlebt?
Kutlu Yurtseven: Also für mich war das eher ein mediales Erleben. Ich war auf der Arbeit und dann haben Freunde angerufen und gesagt: „Kutlu, da ist ne Bombe hochgegangen in der Keupstraße.“ Den Rest habe ich im Internet erfahren. Darum war die Situation für mich zuerst nicht real. Erst als ich am Abend zur Keupstraße bin, wurde der Anschlag für mich wirklich. Die Nägel habe ich aber nicht mehr gesehen.
Was hat der Anschlag für die Keupstraßen-Community bedeutet?
Da war eine große Verzweiflung bei den Bewohnern der Keupstraße – aber auch bei vielen Kölnern. Doch als Innenminister Schily dann zwei oder drei Tage später einen rechtsterroristischen Akt ausschloss, war das wie ein Schlag ins Gesicht. Und so hat die Bombe mithilfe des Staates und seiner Behörden dann doch ihren Zweck erreicht: Angst zu verbreiten und Existenzen zu vernichten.
Wie kam Schily zu seiner Einschätzung?
Ich glaube, die Haltung dahinter war: Was nicht sein darf, das gibt es auch nicht. Viele sind durch die Vergangenheit sensibilisiert und das Schreckgespenst einer Nazi-Szene die Gewalt ausübt und mordet, wollte man nicht wahr haben. Und ich glaube auch, dass der Rechtsradikalismus phänomenal unterschätzt wird.
Unterschätzt?
Das Problem ist, dass jedes Land, das ich kenne, einen konservativen Grundkonsens hat. Es können linke Parteien regieren, der Grundkonsens ist und bleibt konservativ. Die breite Masse ist konservativ, darum ist Rassismus auch ein Problem der Mitte der Gesellschaft.
Rassismus aus der Mitte. Wie stellt der sich dar?
Ich will gar nicht von denen reden, die einem an der Kasse das Geld nicht in die Hand geben. Oft sind es die, die mit dir leben, sich mit dir unterhalten. Du hältst sie für reflektiert und offen und dann kommt zum Beispiel eine Lehrerin und sagt: Warum macht ihr Abitur, ihr heiratet doch eh in zwei drei Jahren. Oder ich wurde mal gefragt, ob mein Vater meine Mutter auch schlage. Warum fragt der mich das? Rassismus und Intoleranz scheinen sehr tolerante Eigenschaften zu sein, weil sie jeden befallen können, unabhängig von Nationalität, Religion oder Bildungsstand.
Welche Rolle spielten diese Motive in der Medienberichterstattung?
Da gibt es zwei Dinge: Erstens muss die Zeitung verkauft werden und darum werden die niederen Instinkte der Leser bedient, weil sich das gut verkauft. Und zweitens macht Rassismus vor Intellektuellen oder Journalisten nicht halt. Und das Bedienen niederer Instinkte, das fängt doch bei diesen ganzen komischen Vor- und Nachmittagssendungen im Privatfernsehen an. Da werden auch nur niedere Instinkte bedient und die bereiten den Boden für diesen Dreck.
Wie sehen Sie die Kampagne: „Wer betrügt der fliegt“ von der CSU Anfang des Jahres?
Das passt voll rein in das Schema Rassismus aus der Mitte. Als in Mölln oder Solingen Familien verbrannt wurden, das war zu Zeiten von Slogans wie „Das Boot ist voll“. Politik ist mit den Stimmungen, die sie erzeugt, oft der Wegbereiter. Auch die Keupstraße wurde oft schlecht gemacht. Und das ist ein ganz gefährliches Spiel. Rechtsextreme denken dann oft: Die Politiker wollen gerne, können aber nicht, also springen wir in die Bresche und vollstrecken den Willen der schweigenden Mehrheit. Die Unterschriftenkampagne der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft war auch so eine Aktion.Was mich aber interessiert ist, was mit Uckermann von Pro-Köln passiert?
Sie meinen Jörg Uckermann, den Kölner Ratsherr von Pro-Köln, der derzeit mit weiteren Fraktionskollegen wegen Betrugs vor Gericht steht?
Den meine ich. Wo fliegt der denn jetzt hin? Kann mir das mal einer sagen? Der ist nicht nur gierig, der ist auch noch ein Vollidiot.
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