"Habt ihr Sex? ... Das ist gut!" So - allerdings auf englisch - und flankiert von zwei tätowierten Burleske-Künstlerinnen begrüßt die in Berlin lebende Kanadierin Peaches Ihr Publikum im ausverkauften Kölner Schauspielhaus zu Beginn des Impulse Festivals, welches die "besten" Theaterproduktionen des deutschsprachigen Raums der letzten zwei Jahre in Köln, Düsseldorf, Bochum und Mülheim präsentiert. Obwohl als "Special" außerhalb des Wettbewerbs angekündigt, vermittelt die DJane-Performance doch einen Vorgeschmack davon, worum es den Impulse-Machern Tom Stromberg und Mathias von Hartz hauptsächlich geht: Pop.
Theater 2011 ist so cool wie es Pop, Rock und Punk mal waren oder verstaubte Theatermacher nie sein werden. Ohne Zweifel haben Produktionen wie "Endzeit2" der HGich.T aus Hamburg, "Trans-Europa-Bollywood" von God‘s Entertainment aus Österreich, der New Yorker Reverend Billy mit "The Church of Earthalujah" oder eben das DJane-Set von Peaches hohen Unterhaltungswert und schlagen eine Brücke zwischen U und E, einen künstlerischen Mehrwert zu TV-Unterhaltungsprogrammen oder Geld-Druck-Produkten der Musikindustrie haben sie nicht wirklich. Anders als diese sind sie aber öffentlich gefördert und werden jetzt im Festival unter Einsatz massiver öffentlicher Gelder als "Beste Freie Produktionen" präsentiert. Ist dies nun eine fragwürdige Praxis oder einfach der schlechten Finanzierung und der eigenen Profilierungssucht von Machern und Kuratoren geschuldet, die um ihr Überleben und ihre Existenzberechtigung kämpfen?
Sieht man von der meisterhaften Produktion "Testament" des Berlin-Hamburger-Performancekollektives She She Pop, die ihre leiblichen Väter zu einer an King Lear angelehnten Performance auf die Bühne bitten und in der ausnahmsweise deutsch gesprochen werden darf, ab, so ist festzustellen, dass sich eine allgemeine Sprachlosigkeit oder Englischsprachigkeit auf deutschen OFF-Theaterbühnen breit gemacht zu haben scheint. Literarische Texte ob neu oder alt sucht man ganz vergebens im Festivalprogramm. Die Englischsprachigkeit vieler Produktionen soll wohl die fragwürdige These Strombergs, nach der zukünftig nur noch überlebt, wer in internationalen Zusammenhängen produziert, unterstützt werden.
Insgesamt ist am Festival-Programm sehr gut eine Entwicklung der letzten Jahre ablesbar: Freie Theatermacher wollen den Erfolg von "Reality-TV" nicht alleine dem Unterschichten-Fernsehen überlassen und Kuratoren eifern den windigen Musikmanagern nach, die in der 90igern die von gewachsenen Bands handgemachte Musik zu Grabe getragen haben. Das, was dann in der Musikgeschichte kam, war beileibe nicht alles schlecht und langweilig, aber: Die Entwicklung der Rock- und Pop-Musik stagniert seitdem sie Musikmanager von den Künstlern weg in die eigene Hand genommen haben. Ob dies die Aufgabe des Impulse Festivals zukünftig sein soll, muss nun das Kultursekretariat NRW unter Leitung von Dr. Christian Esch entscheiden, welches gerade die Nachfolge der jetzigen Festival-Kuratoren zu bestimmen hat.
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