Menschen drücken sich in den kleinen Raum wie Trauben an einer Weinrebe. Sogar Treppenstufen, Fensterbänke sowie der Ausgang sind besetzt mit ZuhörerInnen. Alle sind daran interessiert, was die Feministinnen Koschka Linkerhand, Daria Majewski und Naida Pintul zu sagen haben. Die Lesung „Feministisch streiten“ stellt bewegungspolitische Textfragmente aus dem im März erschienenem Sammelband „Feministisch streiten – Texte zur Vernunft und Leidenschaft von Frauen“ vor.
Die Herausgeberin Koschka Linkerhand sowie zwei weitere AutorInnen sitzen bereits vorne am Tisch und unterhalten sich amüsiert. Eine gewisse Nervosität ist ebenfalls zu erkennen. Linkerhand beginnt vorzulesen und leitet die Lesung mit zwei Fragen ein: Worüber wird eigentlich gestritten? Was macht das Streiten so schwierig?
Den einen Feminismus gebe es nicht. Vielmehr seien es feministische Ansichten und Theorien aus unterschiedlichen Generationen sowie verschiedene politische Positionen, die unbedingt vereinbar sein müssten zwischen politischer Handlungsfähigkeit sowie dem theoretischen Durchdringen des kapitalistischen Patriarchats. Doch wie alle wissen: Verschiedene Standpunkte führen zum Streit. Der Sammelband lade deshalb ein und bitte zum feministischen Streiten.
Ein Problem sieht Koschka Linkerhand im Queerfeminismus und im Intersektionalismus, der unterschiedliche Unterdrückungen in der Gesellschaftspolitik behandle, auch Differenzen des Subjekts Frau zwar zeige, diese aber nicht anerkenne. Laut Linkerhand gehe es nämlich nicht darum, nur aufzuzeigen, wer von patriarchaler Unterdrückung betroffener sei. Es gehe darum, Differenzen sozialtheoretisch einzubetten. Queerfeminismus, für den ein erweitertes Geschlechterverständnis zentral ist, spalte das Subjekt Frau, benenne dies sogar als überholt und wähle Geschlechterbezeichnungen jenseits von Mann und Frau. Im Gegensatz dazu möchte Linkerhand das Subjekt Frau, und nicht Frau*, wieder rehabilitieren. Frauen müssten für ihre Rechte als Frauen streiten – Frauen als politisch verstandene Frauen. Sie fordert, dass gesellschaftliche Theorie und weibliche Identitätspolitik vereinbar sind oder es eben noch werden. Die Feministin betont, dass gegenseitige Kritik und Verständnis zu einer gemeinsamen Bündnispolitik führen und nicht nur dem Selbstzweck dienen solle.
Während Koschka Linkerhands vorgelesener Kommentar dem Publikum hohe Konzentration abverlangt, erzählt Naida Pintul „aus dem Handgelenk“, wie sie sagt. Ihr Feld sind Frauen in der Prostitution. Ihre Erfahrung zeige, dass Frauen, die zu Sexarbeit sprechen, oftmals privilegiert seien – also weiß, deutsch und akademisch – und Sexarbeit als „Empowerment“ erleben würden. Pintuls unmittelbare Beschäftigung mit den Frauen, die Sexarbeit leisten, zeige jedoch ein anderes Bild: Ex-Sexarbeiterinnen aka. „Überlebende“, die nicht in Deutschland sozialisiert wurden. Frauen, die Gewalt und Drogen erfahren, stellen laut Pintul die Mehrheit der SexarbeiterInnen dar. Sie spricht über die Freiheit in Bezug auf Sexarbeit, hinter der eine Form von Zwang stecke – sei es nur der kapitalistische Druck, um seine Miete zahlen zu können.
Im sex-positiven Diskurs zu Frauen in der Sexarbeit kritisiert Pintul ähnlich wie ihre Mitreferentin Koschka Linkerhand die häufig thematisierte „Besessenheit mit Betroffenen“, während es nie um Freier oder Zuhälter ginge. Eine Unaustauschbarkeit von Geschlechterverhältnissen in der Sexarbeit sei ebenfalls gegeben. Klarer: Es gibt einen Mann, der Sex haben möchte. Es gibt eine Frau, die Sex verkauft. Sex = Ware. Ware, die der Sexarbeiterin nicht mehr gehöre und demnach niemals sexuelle Befreiung sein könne oder Selbstbestimmung auf Augenhöhe. Pintul strebt deshalb die Abschaffung von Prostitution in der Gesellschaft an. Ihr Beitrag endet mit einem Ruf aus dem Publikum mit der Frage, ob das im Kapitalismus überhaupt möglich sei. Die Frage wird nicht beantwortet, zumal erst am Ende der Veranstaltung Fragen gestellt werden sollten.
Die letzte Referentin liest wieder vor. Vermutlich lässt sich auf diese Weise die sichtliche Nervosität der Referentin einfach weglesen. Daria Majewski thematisiert das Streiten zwischen Cis- und Trans-Frauen und stellt zunächst fest, wie schwierig es sei, Erfahrungen, die aus vielfältigen Erlebnissen von Trans-Frauen gesammelt werden, gebündelt geltend zu machen. Es sei eine Notwendigkeit solche Erlebnisse in Literatur, Theater, Geschichtsforschung und Kunst einzubetten. Objektifizierung, Stigmatisierung und Exotisierung seien Alltag im Leben von Trans-Frauen.
Majewski erklärt, dass es im Streit zwischen Cis- und Trans-Frauen um primäre Kränkungen ginge, die um die Achse des Schwanger-werden-Könnens kreisen. Heißt: Die gute Frau kann schwanger werden und tut das auch. Alle anderen würden als schlechte Frauen oder eben Objekte gelten. Eine nicht biologisch verkörperte Weiblichkeit ohne Menstruation und der gegebenen Eigenschaft, schwanger zu werden, werde daher nie ein Teil der Binarität innerhalb der Geschlechter werden können. Eine Trans-Frau könne also nie ganz Frau sein im patriarchalischen Unterdrückungssystem. Ansprüche an Weiblichkeit und Abwertung von Weiblichkeit beträfen, so Majewski, sowohl Cis-Frauen (also Personen, die bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugewiesen werden und sich als weiblich identifizieren) als auch Trans-Frauen (Personen, denen bei der Geburt zwar das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, die sich allerdings als weiblich identifizieren). – Diese Gemeinsamkeit könnte doch als gute Basis für eine gemeinsame Bündnispolitik funktionieren.
Koschka Linkerhand (Hrsg.): Feministisch streiten – Texte zu Vernunft und Leidenschaft unter Frauen | Querverlag | 328 S. | 16,90 €
**Nachkorrektur: 13.9. 15 Uhr**
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Entschuldigung
Liebe Naida Pintul,
Danke für deinen Kommentar und entschuldige bitte die falsche Schreibung deines Namens. Tatsächlich sprachst du von Frauen, die sagten, dass Sexverkauf nie freiwillig sein könne und immer unter Zwang stehe. Deshalb auch Entschuldigung für das fälschliche Zitat.
Korrekturen wurden bereits vorgenommen.
Mit freundlichen Grüßen,
Aleksandra Polnik
Suggestiv und irreführend
Zunächst einmal: Ich heiße PintuL, nicht PintuR, so wie es im weiterführenden Bericht ständig heißt. Weiterhin werde ich zitiert (!) mit "Sexarbeit ist immer Zwang!". Das habe ich nie gesagt und vermeide auch nach Möglichkeit den Begriff der Sexarbeit. Die anfolgende Einschränkung reißt diesen Fauxpas dann auch nicht mehr raus. Dass ich dann am Schluss die Frage nicht mehr beantworte, klingt, als ob ich dem nichts mehr zu antworten gegeben hätte. Koschka hat aber gebeten, Fragen am Ende aller (!) vorgestellten Beiträge zu stellen.
MfG
Naida Pintul
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