Würde die phil.Cologne nicht schon existieren, man müsste sie erfinden. Wie schon bei ihrem Literaturfestival haben Rainer Osnowski, Werner Köhler und Edmund Labonté ein gutes Näschen für das Bedürfnis vieler Menschen bewiesen, die einmal innehalten und darüber reflektieren möchten, was um uns herum in Gesellschaft, Politik und Kultur mit solch rasender Geschwindigkeit geschieht. Dass schon seit langer Zeit eine Lücke im Veranstaltungsangebot unserer Kulturlandschaft besteht, konnte man in den neunziger Jahren beobachten, als „Sofies Welt“ zum Bestseller mutierte. Ein Kinderbuch, das vor allem von Erwachsenen gekauft und gelesen wurde, weil man sich mit seiner Hilfe einen leichten Einstieg in die Philosophie erhoffte.
Die drei haben gehandelt, während andere noch überlegten und nach einem geeigneten Format suchten. Zwar wurde das erste Programm zunächst skeptisch kommentiert, die Veranstaltungen entpuppten sich dann aber als intensive Auseinandersetzungen mit dem Zeitgeist, die Inhalte statt Smalltalk boten und von Geisteswissenschaftlern geführt wurden, die stets bemüht waren, die Bodenhaftung zu unserer Gegenwart herzustellen. Auch die zweite Auflage startete nun durch. Am Montagnachmittag standen hunderte Menschen im Zentrum von Köln vor der Industrie- und Handelskammer, um sich von dem Soziologen Hartmut Rosa eine Antwort auf die Frage „Was ist das gute Leben?“ zu holen. Moderatorin Gisela Steinhauer stellt den Beschleunigungstheoretiker mit Professur in Jena als temperamentvollen Wissenschaftler vor, der noch im Dorf seiner Kindheit im Schwarzwald wohnt, wo er Vorsitzender des Tennisclubs ist, alle drei Wochen die Kirchenorgel und montags Volleyball spielt.
Hartmut Rosa hat sich jene Nischen geschaffen, die nach seiner Einschätzung in den letzten Jahrzehnten vom Neoliberalismus gründlich eliminiert wurden. Wir arbeiten immer mehr, nehmen jeden Auftrag an, obwohl wir eigentlich kürzer treten wollen, weil immer die Angst im Hintergrund lauert, dass uns ein Konkurrent überflügeln könnte. „Es ist diese Angst, abgehängt zu werden, die sich zu einer Grundangst in unserer Gesellschaft entwickelt hat“, erklärt Rosa. Der Stress nimmt kein Ende, „weil wir der Illusion aufsitzen, dass wenn wir alles abgearbeitet hätten, wir wieder mehr Zeit hätten. Was jedoch nicht der Fall ist.“
Den Zwang zur Steigerung sieht Rosa nicht in der Gier begründet, sondern in der kapitalistischen Notwendigkeit, Wachstum zu erzielen. Ohne Dynamik droht der wirtschaftliche Zusammenbruch, „so hat sich die Steigerungslogik verselbständigt“, bilanziert er. „Gutes Leben hängt aber nicht von einer Ressource, wie dem Geld, ab. Ein gelungenes Leben ist ein Prozess, nicht etwas, das man hat oder ist. Es besteht in einem In-Beziehung-Treten mit anderen Menschen oder mit der Natur.“ Für Hartmut Rosa offenbart sich die Qualität eines Lebens in dieser Form der sozialen „Resonanz“, die er vergleicht mit einem „vibrierenden Draht zwischen mir und der Welt“.
Zur Spannung, aus der sich diese Energie speist, gehört auch die Neugierde als Urimpuls der Philosophie. Denn „was man nicht versteht, das macht einen neugierig“, meint Rüdiger Safranskis in dessen Leben sich diese Erkenntnis ebenso eingeschrieben hat, wie in das von Peter Trawny. Beide verbindet die lebenslange Beschäftigung mit Martin Heidegger, wie sie unter dem Titel „Was wollte… Heidegger?“ in den Balloni-Hallen in Köln-Ehrenfeld erklärten. Safranski mit seiner Arbeit als Heideggers Biograf, Trawny als Herausgeber der „Schwarzen Hefte“, jenen akribischen Sudelbüchern, die erst Jahrzehnte nach dem Tod des Philosophen aus Meßkirch erscheinen konnten. Beide haben Heideggers Hauptwerk „Sein und Zeit“ schon als Schüler gelesen, und zunächst „nichts verstanden“. Heute bezeichnen sie Heidegger als „den wirkmächtigsten Philosoph des 20. Jahrhunderts“.
Das Publikum lauschte den Gelehrten mit angehaltenem Atem, während sie Heidegger als einen Denker porträtierten, der Begriffen wie der Angst, der Langeweile, der Sorge oder dem Denken ganz neue Bedeutungshorizonte eröffnete. Safranski betont Heideggers Ansatz, Erkenntnis immer als einen Vorgang zu betrachten, der sich in einer Situation ereignet: „Wir sind nicht eine Art Blackbox, die auf die Welt da draußen schaut, das ist Unsinn“, meint er. Für Heidegger ist die Stimmung, die alles Denken beeinflusst, von zentraler Bedeutung. Peter Trawny weist darauf hin, dass Heidegger deshalb die Intensität des Augenblicks betont. Ein Ansatz, der unserer Epoche nahe ist, obwohl Trawny in ihm auch den Grund sieht, der Heidegger am Nationalsozialismus begeisterte. Alles Antibürgerliche habe ihn fasziniert, bis er dann erkennen musste, dass sich mit dem Jahr 1933 keine Deutsche Revolution verband. „Heidegger war kein Mitläufer, er war vom ersten Moment mit dabei“, betont Safranski. Für Peter Trawny ist Heideggers Antisemitismus Teil einer Ablehnung der Moderne, an der Heidegger bis zuletzt festgehalten hat.
Zum Gelingen derartiger Veranstaltung gehört eine gute Moderation, und da hatte die phil.Cologne mit Wolfram Eilenberger eine perfekte Wahl getroffen. Denn philosophische Diskurse brauchen Sachverstand, zielgerichtete Gesprächsführung und Einfühlung. Alles da, und das Festival mag man sich aus dem Kulturleben der Domstadt gar nicht mehr wegdenken.
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