Gibt es denn nun ein Leben über Vierzig? Das schienen die Anwesenden doch wissen zu wollen, die – meistens deutlich über 40 – den kleinen Theatersaal des Theaters am Sachsenring fast vollständig und in offensichtlich freudiger Erwartung besetzten. Die wenigen unter vierzig- und unter dreißigjährigen im Raum waren von dem Stück nicht weniger angetan: Die drei großartigen Schauspieler Felix von Frantzius, Signe Zurmühlen und David N. Koch beförderten die begeisterten Zuschauer von einem Lachanfall in den nächsten. Dank des hervorragend aufeinander eingespielten, die Pointen sicher transportierenden Teams ist das fürs Theater geschriebene Kabarettstück vom Altkabarettisten Thomas Reis unter der Regie von Intendant Joe Knipp erheiternd im besten Sinne. Das Theater am Sachsenring bietet nach seiner Wiedereröffnung 2011 und seiner 25-Jahr-Feier Anfang 2012 wieder Qualitätstheater vom Feinsten.
Die Story: Olli steht kurz vor seinem 40. Geburtstag. Sein bester Freund Jürgen versucht diesen dazu zu bewegen, eine Party zu schmeißen, wovon der wiederum gar nicht begeistert ist. Ollis Ausflüchte nützen nichts: Ab halb zehn am nächsten Abend kommen die Gäste. Die darauf folgenden zwei Stunden lassen kein Klischeebild, kaum ein Thema und keine Ängste der Anfang-Vierziger-Generation aus, ohne jedoch auf verbrauchten Klischees herumzureiten. Die Angst davor, dem „Spießertum“ anzugehören, als aufregendstes Partygespräch über die neue Einbauküche reden zu müssen. Die resignierte Feststellung, vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer geworden zu sein. Der 40. Geburtstag ist unausweichlich und scheint Fragen zum Sinn der bisherigen Vita förmlich aufzudrängen.
In gekonnten Wortspielen und manchmal sogar derb treten als Partygäste Charaktere auf die Bühne, welche man in ihrer Klischeehaftigkeit zu kennen meint, ausdrucksstark und sehr wandelbar gespielt von Signe Zurmühlen: Die überfürsorgliche Mutter von Olli, die volltrunkene Ex-Frau von Jürgen, die spießig-alberne Bekannte, die auf der Party ihrem Mann den Laufpass gibt, Olli’s Bankberaterin sowie seine männerfressende Psychotherapeutin. Und: Den völlig lethargisch-desinteressierten Sohn von Jürgen, Dennis, für den „Online-sein“ kein Zeitvertreib, sondern seinen Daseinsgrund bildet. „Facebook? Ey ich leb da!“ antwortet der maulfaule Dennis auf die Frage, ob dieser denn von „diesem Facebook“ schon mal gehört habe. Er bildet einen krassen Gegensatz zu seinem Vater Jürgen und vielleicht stellvertretend für dessen Generation: Mach endlich was!, schreit dieser ihn an und verzweifelt an diesem phlegmatischen Sohn, und das auf eine so urkomische Art, das dass Publikum Tränen lacht.
Während Olli und Jürgen über das Dasein, das Älterwerden und das Männerdasein im Besonderen philosophieren, geht die Party ab: Die Themen fallen unter die Gürtellinie, Partygast Rüdiger (originell: Koch spielt Rüdiger als Handpuppe Kermit der Frosch) zieht traurig quakend Bilanz: Sein Misserfolg bei Frauen ist seit Jahren Status Quo. Viel passiert nicht mehr in seinem Dasein als einsamer Nerd.
Das rasante-originelle Stück ist nicht ohne Melancholie, ziehen doch die Protagonisten in ernsthaft-komischer Weise Bilanz über ihr Leben und das Älterwerden. Keinem, der sich an dem Abend ernsthaft die Frage nach dem Leben nach 40 stellen mochte, wurde diese ernsthaft beantwortet: Vielmehr lässt sich das Stück als Anregung dahingehend verstehen, sich und seine Lebensbilanzen – zu egal welchem Zeitpunkt – nicht allzu ernst zu nehmen und einfach herzhaft zu lachen. Absolut sehenswert!
„Gibt es ein Leben über 40?“ | Do, 24.5. Fr, 25.5., Fr, 31.5., Fr, 1.6., jeweils 20 Uhr | Theater am Sachsenring TAS, Sachsenring 48, Köln | Tel.: 0221/31 50 15 | www.theater-am-sachsenring.de
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