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Theaterleiter Joe Knipp
Foto: Barbara Siewer

„Es sollte jede Art von Kunst geben“

13. November 2019

Joe Knipp über die Schließung des Theaters am Sachsenring – Interview 11/19

Eine Nachricht, die Theaterfans in ganz Köln erschrecken ließ: Das Theater am Sachsenring muss seine Tore nach langem Kampf um finanzielle Unterstützung schließen. Seit 1987 wird es von Regisseur Joe Knipp und Kunsterzieherin Hannelore Honnen gemeinsam geleitet. Nun ist Schluss. Bei Gebäck und Tee trafen wir den Regisseur, der schon vor der ersten Frage ein Statement setzt: „Wieso interessieren sich Medien und Presse nicht für ein Theater, wenn es im Betrieb ist und eine Premiere nach der anderen macht, sondern erst, wenn vorbei ist?“

choices: Herr Knipp, die Entscheidung, das Theater am Sachsenring nach 33 Jahren aufzugeben, wird Ihnen nicht leicht gefallen sein. Wie genau ist es dazu gekommen?

Joe Knipp: Dass es nicht leicht fällt, ist schon deswegen erklärlich, weil wir im Moment eigentlich noch einmal auf einem Höhepunkt von künstlerischer Qualität gelandet sind. Es läuft eigentlich gut, die Schauspieler sind beieinander und die Produktionen von Ingrid Lausund „Tür auf Tür zu“ oder „Die Zauberflöte“ oder jetzt „Die Weihnachtsengel“ macht einfach Lust. Die Entscheidung hat sich ein Jahr lang hingezogen. Ausgelöst wurde das ganze durch einen finanziellen Engpass. Das kann natürlich bei einem Theater passieren, das 14 Jahre lang ohne Grundförderung auskommen muss. Wir haben das Kulturamt und die Politik um Überbrückungshilfe gebeten, diesen finanziellen Engpass zu meistern. Und das Kulturamt hat es wirklich geschafft, zu jeder Sitzung des Kulturausschusses keine Vorlage einzureichen, sodass ich von den Politikern immer nur die Information bekam, dass sie nichts machen können. Und ganz zum Schluss, ein Jahr danach, genauer gesagt im Juli diesen Jahres, sind wir zum Gespräch gebeten worden und da wurde uns dann mitgeteilt, dass wir keine Grundförderung bekommen, dass sie beschlossen haben, kein Projekt mehr zu unterstützen und dass sie uns auch nicht helfen werden. Das hat dann zu einem der seltenen Fälle geführt, dass die Kulturpolitiker aus dem Kulturausschuss ihrer Verwaltung gesagt haben: „So geht das nicht mehr. Wir wollen dem Theater helfen und sie müssen da einen entsprechenden Entschluss fassen.“ Wir haben von Anfang an keine hohe Summe beantragt, aber als dann die ausgezahlte Summe nur noch 15% der beantragten Summe entsprach, war uns klar, ohne Projektzuschüsse, ohne Hilfe, ohne Grundförderung kann man das Theater nicht halten. Und bevor uns hier so überschulden, dass wir nicht mehr wissen, wo hinten und vorne ist, machen wir lieber zu.

Wieso glauben Sie, hat man die Förderung eingestellt?

Das ist immer noch das große Rätsel. Es gibt viele Vermutungen, die mit dem Datum des Streichens aller Förderungen zusammenhängen. Das war 2005. Ich bin damals Vorsitzender der Theaterkonferenz gewesen und habe dezidiert gegen die Vorschläge der Verwaltung gearbeitet im Interesse aller Theater. Es ging uns darum, dass man die Vielfalt der Szene unterstützt. Damals gab es neue Förderkonzepte, die besagten, dass nur noch wenige Theater mit einer sogenannten Spitzenförderung gefördert werden und der Rest kann sehen, wo er bleibt. Und da sind wir immer schon dagegen gewesen. Mein Widerstand war so ausdrücklich, dass ich auch wusste, dass ich mir richtig Feinde gemacht habe. Und wenn man sich in einer Verwaltung Feinde macht, dann habe ich manchmal das Gefühl, es vererbt sich. Das hatte politische Gründe. Es hat dann auch immer wieder Hinweise gegeben, dass man gesagt hat: „Diese Art von Theater ist ein Theater von gestern. Wir fördern performatives Theater, Crossover, Experimentelles, eben alles, was auch eine politische Überschrift hat.“ Und ich würde das mal so hart sagen, dass das die Dummheit in Verwaltungen ist, die wirklich nicht wissen, wovon sie reden. Denn es sollte jede Art von Kunst geben.


Foto: Mathis Beste

Wie haben die Schauspieler am Theater auf die Nachricht reagiert?

Die waren entsetzt! Es ist sofort angekommen. Das ist mit vielen Tränen verbunden gewesen. Bei den letzten Vorstellungen durfte ich manche gar nicht mehr ansprechen, weil dann die Tränen schon flossen. Aber es gibt einige, die sich dann nochmal aufgerafft haben, um zu sagen: „Wir müssen es irgendwie doch hinbekommen.“ Und ich habe zugestimmt. Es wäre mir schon lieb, wenn das weiterhin ein Theater bleibt. Das hängt aber vom Vermieter ab. Und wenn es ein Theater bleibt, dann gibt es vielleicht die Möglichkeit, wenn sich ein paar Leute zusammenschließen und eine neue Leitung bilden, dass man das dann halten kann. Und ich werde dann als Regisseur auch weiterarbeiten – irgendwo. Aber die Zukunft ist offen.

Also könnte es trotzdem sein, dass es bald hier ein neues Theater gibt?

Ja. Aber nicht mehr so, wie es das bisher gab. Das bisherige Theater am Sachsenring mit dem speziellen Spielplan wird definitiv schließen.

An welche Momente denken Sie in über dreißig Jahren TAS gerne zurück?

Ich bin tatsächlich ein altes Theaterpferd und ein typischer Regisseur. Ich erinnere mich am liebsten an Probenprozesse. Die Proben, bevor das Stück rauskommt, sind das Schönste. Ich habe immer ein glückliches Händchen gehabt, um Schauspielerinnen und Schauspieler zu finden, die gepasst haben, und wo gleichzeitig das menschliche Verhältnis in Ordnung war. Und dann hat man einen sehr geschlossen Raum während der Probenzeit, wo alle alles dürfen, wo man ausprobieren kann und sich sehr zugeneigt ist. Ich würde das ungerne mit Familie vergleichen, aber es sind so ein bisschen Wahlverwandtschaften, die sich da bilden. Und es ist immer ein sehr intensiver Prozess, den man gemeinsam durchsteht.

Gibt es etwas, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Einer der Höhepunkte war die Produktion „Das Fest“ von Rukov und Vinterberg, wofür wir dann auch mit dem Theaterpreis ausgezeichnet worden sind. Das waren immerhin elf Schauspieler, die ich da zusammenbringen sollte auf der kleinen Bühne. Alle unterschiedlicher Generationen. Und das ist ein toll geschriebenes Stück, das aber auch dramatische Schritte hat. Und diese dramatischen Schritte haben sich auch im Probenprozess wiedergespiegelt. Und das war glaube ich die intensivste Produktion, die ich je gemacht habe – und die erfolgreichste. Also es ist schon ungewöhnlich, dass eine freie Produktion zum Schluss mit 5000 Zuschauern herauskommt und noch ein Gastspiel im Schauspielhaus bekommt, die uns dann auch nochmal geholt haben, weil das wirklich im Stadtgespräch war. Aber auch die Zusammenarbeit mit dem Kabarettisten Thomas Reis, dessen Stück „Die Weihnachtsengel“ ja ist. Ebenfalls eine wahnsinnige Erfahrung war das Wagnis, „Die Zauberflöte“ ohne Musik nur mit dem Text von Schikaneder zu machen. Interessant dabei ist, man lässt sich immer gerne von der ganzen Oper verzaubern, aber wenn das wie ein Schauspiel gespielt wird, dann versteht man erstmal die Geschichte. Das ging sogar mir so.

Am 14. November startet mit „Die Weihnachtsengel“ die letzte Premiere. Freuen Sie sich trotzdem auf die Vorstellung oder sind Sie eher wehmütig?

Im Gegensatz zu den Schauspielern habe ich es noch nicht so ganz realisiert. Die kriegen auch manchmal so Anwandlungen, dass sie für einen Moment nicht mehr können. Und da ich immer noch in den Arbeitsprozessen drin stecke, wie sie eh und je waren, wird das wahrscheinlich auch erst viel später auftreten. Aber ich freue mich auf die Premiere. Das wird toll, weil ich diesen Text liebe und das Stück auch gut in die Gänge kommt. Die beiden Damen, die die Weihnachtsengel spielen, gehen da wieder mit brachialer Schauspiellust dran. Und das steckt natürlich an.

Die Proben für das Stück haben wir ja schon bei der Theaternacht ansehen können. Da hat man gemerkt, dass Ihnen Proben sichtlich Spaß macht. Sie haben viele Anweisungen gegeben und mit den Schauspielern Witze gemacht. Ich glaube auch, dass das Publikum sich gut unterhalten gefühlt hat.

Wir haben danach auch noch ein paar schöne Reaktionen bekommen. Überhaupt war die  Theaternacht nochmal ein Musterbeispiel für die Lust am Theater und die Lust des Publikums an unseren Stücken. Die schöne Seite an dieser Katastrophe ist, dass wir so viel wie noch nie vorher an Rückmeldung haben von Seiten des Publikums, von Seiten der ganzen Südstadt, wo sich die Leute plötzlich regen und in den Netzwerken ihre Kommentare abgeben. Einzig und allein die Verwaltung versucht, sich krampfhaft zu rechtfertigen, indem sie sagt, sie hätten Zuschüsse gegeben. Aber innerhalb eines Zeitraums uns 30.000 zu geben und unseren umliegenden Theatern eine Millionen. Daran kann man schon sehen, was das für ein Verhältnis ist. Dass man das nicht überleben kann, wenn sich nicht irgendwann die Förderpolitik ändert, ist eigentlich klar.

Wie geht es jetzt für Sie und für Hannelore Honnen weiter? Sie haben gesagt, dass Sie als Regisseur auf jeden Fall weiter tätig sein werden. Zudem sind Sie seit vielen Jahren auch Liedsänger bei der Band Zinnober. Werden Sie nun wieder mehr Musik machen?

Dadurch, dass ich so viel im Theater zu tun hatte, musste ich die Kollegen da schmählich im Stich lassen. Wir haben zwischendurch Wohnzimmerkonzerte gegeben und haben jetzt seit genau einem Jahr nicht gespielt. Das könnte sich wieder ändern. Ich will natürlich die Zeit nutzen, weil ein Theater zu leiten, ist ein Fulltime-Job in jeder Beziehung. Und ab Januar kann ich wirklich wieder mit Schreiben anfangen. Vielleicht proben wir auch, vielleicht machen wir Konzerte. Das steht auch noch alles in den Sternen. Aber das sind so die Möglichkeiten. Aber wenn andere Theater Lust haben, mich als Regisseur anzufragen, gerne.

Sie haben zurzeit mehr als ein Dutzend Stücke im Repertoire. Was geschieht nun damit?

Das ist auch interessant. Wir haben im Grunde rund 15 Produktionen, die stehen. Und die sind ja mit relativ wenig Aufwand auch auf jede andere Bühne zu bringen. Insofern werde ich mal schauen, ob wir das verkaufen können. Wir könnten die Stücke an anderen Bühnen, die sich ja dann auch um nichts mehr kümmern müssen, spielen. Und unter den Stücken sind ja auch so wunderbare Sachen wie „Die Möwe“ von Tschechow oder „Peer Gynt“ von Ibsen dabei. Da haben wir damals dann auch immer entsprechend Lob gekriegt: „Großes Theater auf kleiner Bühne“, hieß es dann. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie man mit dem, was produziert worden ist, umgehen kann. Das würde ich mir wünschen.

Was würden Sie sich von Ihrem Publikum zum Abschied wünschen und was wünschen Sie Ihrem Publikum zum Abschied?

Das, was ich immer schon gewünscht und auch bekomme habe, ist Applaus. Und unserem Publikum brauche ich eigentlich Theaterbegeisterung nicht mehr zu wünschen. Wer mal hier oder überhaupt in einem Theater war und das erlebt hat, was eine Vorstellung bedeutet, die an einem Abend live gespielt wird, der weiß auch, was er davon hat. Es gibt aber immer mehr junge Leute, die nie ein Theater betreten. Und das würde ich mir wünschen, dass das wieder zunimmt. Wir haben bei unseren Vorstellungen oft auch Kinder im Publikum. Wie die sich der Handlung ganz hingeben, ist einfach schön zu beobachten. Die schauen nicht nur zu, sondern die erleben auch was. Und diese kindliche Freude an sowas, die sollte sich jeder bewahren.

Interview: Mathis Beste

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