„A star is born. Fotografie und Rock seit Elvis“ lautet der Titel einer aktuellen Ausstellung im Museum Folkwang. Elvis Aaron Presley gilt als Initialzündung der Rockmusik, auch 33 Jahre nach seinem Tod (den viele Fans und Verschwörungstheoretiker immer noch nicht wahrhaben wollen) als unerreichtes Idol. Er ist auch der Held für die fünfzehnjährige Antje Schröder in Jana Scheerers neuem Roman „Mein innerer Elvis“, der zum Todestag des King Mitte August in den Handel kommt.
Die 1978 in Bochum geborene Autorin wächst in Bielefeld auf, das Studium der Germanistischen Linguistik, Anglistik/Amerikanistik und Medienwissenschaft an der Universität Potsdam verschlägt sie 2000 nach Berlin. Schon 1998 in Bielefeld gewinnt sie einen ersten Literaturwettbewerb „Neue Prosa“ der dortigen Uni. In Berlin ist sie 2002 Stipendiatin des Literarischen Colloquiums. 2004 erhält sie den Literaturpreis Prenzlauer Berg und debütiert im selben Jahr mit dem Roman „Mein Vater, sein Schwein und ich“. Ein Vorabdruck aus diesem Buch erscheint im Bochumer Literaturmagazin Macondo, und Jana Scheerer kehrt als Gast des „Debütantenballs“ beim Macondo-Festival ans Schauspielhaus ihrer Geburtsstadt zurück. Auch, wenn sie kaum eigene Erinnerungen an diese Stadt hat, ist dieser Auftritt „emotional anders. Schließlich bin ich mit lauter Familiengeschichten über Bochum aufgewachsen. Auch einige Geschichten aus meinem ersten Buch sind durch Episoden angestoßen, die in Bochum stattgefunden haben.“
Politik und Talk
Mit einem zweiten Roman lässt sich die Autorin Zeit. Kürzere Texte erscheinen in Zeitschriften und Magazinen, doch im Vordergrund steht nun zunächst die Uni. Nach dem Magisterabschluss und einem Promotionsstudium an der Freien Universität Berlin als Stipendiatin der Graduiertenschule des Clusters „Languages of Emotion“ ist sie nun Doktorandin an der Universität Potsdam. Ihr Thema lautet ganz unliterarisch „Kontextualisierung von Zuschauerstimmen in Politischen Talk Shows mit Zuschauerbeteiligung“. Jana Scheerer trennt literarisches Schreiben und Uni ganz klar voneinander, auch wenn sich die Linguistik selbstverständlich auch auf ihr literarisches Schaffen auswirkt: „die Wahl meines Gebietes – die Konversationsanalyse – spiegelt schon auch mein Interesse an menschlichem Verhalten und Kommunikation wider, das mich letztlich auch beim Schreiben antreibt.“
Doch am Fernsehen reizt sie mehr: „Dieses Medium bringt Texte in Umlauf, die auch heute trotz der Neuen Medien noch eine große gesellschaftliche Wirkung haben. An den politischen Talk Shows interessiert mich, wie sie uns eine spezifische Form des politischen Diskurses vorführen – und wenn man bedenkt, welche Einschaltquoten die Bundestagsdebatten auf Phönix und welche die Talk Shows haben, wird klar, welchen Stellenwert diese Repräsentation hat. In meiner Dissertation schaue ich mir an, wie Zuschauerstimmen in den Diskurs der Sendung integriert werden. Das ist in letzter Zeit ein deutlicher Trend: Fast alle Politischen Talk Shows haben Segmente mit Zuschauerbeteiligung, sei es die „Betroffenencouch“, das Verlesen von Zuschauermails oder die „Stimmen von der Straße“. Was ich herausfinden möchte, ist, in welchen Rollen die Zuschauer hier zu Wort kommen können: Treten sie ausschließlich als Betroffene auf, oder auch als Meinungsträger? Wenn man die Talk Show als Repräsentation von Politischen Diskursen versteht, würde eine Reduzierung der Zuschauerstimmen auf die Rolle des Betroffenen bedeuten, dass die Stimmen von „Laien“ hier als reine „Authentizitätslieferanten“ gezeigt werden.“
Going to Graceland
Nun also Elvis … Wie kommt man auf die Idee, in einem Roman ein fünfzehnjähriges Mädchen auf Pilgerfahrt nach Graceland zu schicken? Ging es um die Musik, oder ging es um den Mythos? „Es ging mir um beides“, schildert Jana Scheerer, „Ich wollte, dass Antje eine große Leidenschaft hat, etwas, das sie antreibt, über sich hinauszuwachsen. Elvis habe ich gewählt, weil es so ganz unpassend für eine Fünfzehnjährige heute ist, ausgerechnet Elvis toll zu finden. Ich fand auch den Gedanken schön, dass Elvis als Symbol für Antjes Eltern gerade eher die Spießigkeit der 50er und frühen 60er verkörpert. Antje hingegen ist so jung, dass sie Elvis völlig ohne seinen zeitlichen Kontext wahrnimmt. Sie hört in seiner Musik einfach genau das, was für sie in ihrer Situation Sinn macht. Und sie spürt in ihrer großen Unsicherheit in Bezug auf sich selbst eine Seelenverwandtschaft zu Elvis, dessen Mythos ja letztlich durch sein Scheitern entstand.“
Auch das äußere Erscheinungsbild des späten Elvis prädestinierte ihn zum Leitmotiv des Romans: „Nicht zuletzt war für Antjes Auseinandersetzung mit dem Thema Essen/Gewicht auch ein schöner Anknüpfungspunkt, dass Elvis‘ Körper irgendwann außer Kontrolle geraten ist.“ Und so ganz von der Hand zu weisen ist der musikalische Aspekt ebenfalls nicht: „Ich fand, dass Elvis einfach den perfekten Soundtrack für einen Roadtrip durch Amerika liefert.“ Diesen hat sie selbstverständlich auch real angetreten, um Graceland aus eigener Anschauung beschreiben zu können.
Communication Breakdown
Antje Schröders Reise durch die Staaten ist eine klassische Coming of Age-Geschichte im Roadmovie-Gewand: Als ihre Familie eine USA-Reise unternimmt, hofft sie, ihren 16. Geburtstag in Graceland zu verbringen. Der Urlaub ist eine Qual, und dass die ehemalige Austauschschülerin Nelly, mit der sich Antje entgegen der Meinung der Eltern nicht angefreundet hat, mitfährt, macht es auch nicht erträglicher. Doch als Nelly plötzlich davonläuft und die Familie sich in turbulentem Aktionismus überschlägt, ergreift Antje ihre Chance. Allein spürt sie Nelly auf, und gemeinsam brechen die Mädchen auf.
Der Verlag hat den Roman auch als Jugendbuch angekündigt, doch dass es bei manchen Anbietern nur als solches angeboten wird, bedauert Jana Scheerer sehr. „Das ist es nicht, auch wenn es mich freut, wenn es auch für Jugendliche lesbar ist.“ Sie hofft nun, dass diese Irritation die Rezeption des Buches nicht beeinträchtigt. Wie schon Scheerers Erstling ist auch „Mein innerer Elvis“ geprägt von einem Humor, der stets stetig an der Grenze zum Absurden kratzt. Antjes Mutter ist Paartherapeutin, und die Phrasen aus ihrem Berufsalltag begleiten auch Antje. Überhaupt sind die Dialoge köstlich, entlarven die Protagonisten in ihren allzu menschlichen Unzulänglichkeiten. Und Antje weiß die sehr gestörte
Kommunikation zwischen den Eltern für ihre Zwecke zu nutzen. Insbesondere ihr Donut-süchtiger Vater wird dabei aufs Korn genommen. Zu seiner Rolle meint die Autorin: „Es stimmt, dass auch in diesem Buch der Vater eine wichtige Rolle spielt und ein sehr spezieller Charakter ist. Es ging mir diesmal aber noch stärker um die Dynamik der Familie insgesamt. Dass dabei der Vater so ist, wie er ist, hat vermutlich auch was damit zu tun, dass man Figuren nur bis zu einem gewissen Grad „unter Kontrolle“ hat. Ein bisschen schreiben sie sich auch selbst.“ Diesen Roman haben sie sich bestens zusammengeschrieben.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Unglückliche Ehen
„Coast Road“ von Alan Murrin – Literatur 04/25
Die Kunst der zärtlichen Geste
„Edith“ von Catharina Valckx – Vorlesung 04/25
Über Weltschmerz sprechen
„Alles, was wir tragen können“ von Helen Docherty – Vorlesung 04/25
Erinnerungskultur
Gegen Vergessen und für Empathie – ComicKultur 04/25
Ein wunderbarer Sound
Natalia Ginzburgs Roman „Alle unsere Gestern“ – Textwelten 04/25
Verlustschmerz verstehen
„Als der Wald erwachte“ von Emma Karinsdotter und Martin Widmark – Vorlesung 03/25
„Schon immer für alle offen“
Marie Foulis von der Schreibwerkstatt Köln über den Umzug der Lesereihe Mit anderen Worten – Interview 03/25
Cool – cooler – Aal
„Egal, sagt Aal“ von Julia Regett – Vorlesung 03/25
Aus dem belagerten Sarajevo
„Nachtgäste“ von Nenad Veličković – Literatur 03/25
Die Geschichte der Frau
Ein Schwung neuer feministischer Comics – ComicKultur 03/25
Der legendäre Anruf
Ismail Kadares Recherche über Stalin und Boris Pasternak – Textwelten 03/25
Internationales ABC
„A wie Biene“ von Ellen Heck – Vorlesung 02/25
Zwei Freunde
„Am Ende der Welt“ von Anna Desnitskaya – Vorlesung 02/25
„Afrika ist mehr als Hunger und Krieg“
Autor und Influencer Stève Hiobi über sein Buch „All about Africa“ – Interview 02/25
Wem gehört Anne Frank?
„Immer wenn ich dieses Lied höre“ von Lola Lafon – Literatur 02/25
Schrecklich komisch
Tove Ditlevsens Roman „Vilhelms Zimmer“ – Textwelten 02/25
Aufwändige Abschlüsse
Comics, die spannend Geschichten zu Ende bringen – ComicKultur 02/25
Unsichtbare Krankheiten
„Gibt es Pflaster für die Seele?“ von Dagmar Geisler – Vorlesung 01/25
Massenhaft Meisterschaft
Neue Comics von alten Hasen – ComicKultur 01/25
Gespräch über die Liebe
„In einem Zug“ von Daniel Glattauer – Textwelten 01/25
Mit KI aus der Zwangslage
„Täuschend echt“ von Charles Lewinsky – Literatur 01/25
Kampf den weißen Blättern
Zwischen (Auto-)Biografie und Zeitgeschichte – ComicKultur 12/24
Doppelte Enthüllung
„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24
Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24