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Der „Literator“ Péter Esterházy und Gastgeber Günter Blamberger
Foto: Kolleg Morphomata/Philipp Böll

Regen ohne Namen

20. Dezember 2011

Stars der Literatur sprechen über ihr Schreiben – Literatur in NRW 12/11

Welch schöne Blüten das Scheitern doch mitunter treibt. Ein Gastgeber, der in der Rolle des Inspizienten, seine Veranstaltung über den Zeitrahmen hinaus wuchern lässt und ein Moderator, der lieber selbst spricht, als seine Gäste zu befragen. Günter Blamberger und Péter Esterházy wurden ihrer Aufgabe dennoch gerecht. Das von Günter Blamberger mitgegründete Internationale Kolleg Morphomata der Universität zu Köln lädt in jedem Jahr einen „Literator“ ein, der im Sinne des von Goethe geprägten Begriffs, als Experte zwischen den Weltliteraturen vermitteln soll.

In diesem Jahr übernahm der ungarische Friedenspreisräger des Deutschen Buchhandels, Péter Esterházy, die Rolle des „Literators“ und lud sich mit Martin Mosebach, Ilma Rakusa und Jean-Philippe Toussaint drei seiner Lieblingsautoren zum Plausch ins Kölner Schauspiel. Die beiden Schweden Lars Gustafsson und Per Olov Enquist hatten aus Krankheitsgründen absagen müssen. Der Abend erhielt mit Heinrich von Kleists essayistischer Skizze „Über das allmählige Verfertigen der Gedanken beim Reden“, die von Anja Lais und Thomas Loibl wunderbar aufmerksam gelesen wurde, gleich seinen psychologischen Ausgangspunkt.

Esterházy bekräftigt Kleists Ansatz, auch beim Schreiben setzt für ihn „über dem Erinnern erst der Gegenstand des Erinnerns“ ein. Ilma Rakusa erklärt diese Erfahrung mit dem Hinweis, dass „der Vorgang des Schreibens die Gedanken aktiviert, so dass die Gefühle aufsteigen können, wie aus einer Büchse der Pandora“. Die Frage nach der Inspiration blieb ein Faden, den die Autoren immer wieder gerne aufnahmen. Für Martin Mosebach wurde der Gesang einer Nachtigall zum Auslöser für seinen Roman „Was davor geschah“. Dass dessen Prosa einem so bemessenen, dichten Rhythmus gehorcht, erklärt der 62-Jährige mit dem Hinweis auf seine ehemalige Profession als Jurist. Sich in andere Menschen hineinzuversetzen, präzise zu formulieren und die Gedanken zu ordnen, trainiert nicht alleine Juristen-Gehirne, sondern verhilft auch dem Autor zur Fähigkeit, eine so nahrhafte Prosa zu schreiben, wie sie Mosebach hier gelingt. Die Slowakin Ilma Rakusa ist in Triest aufgewachsen, das Geräusch der Wellen am Strand als akustischer Hintergrund für die Märchenerzählungen ihrer Mutter gab ihrem Schreiben seinen inneren Impuls.

Auf besondere Weise „verliebt“ zeigt sich Péter Esterházy in die Prosa Jean-Philippe Toussaints. Für den Belgier ist das Schreiben „ein visueller innerer Monolog, der den Stoff der Träume auffinden will“. Dieses vagabundierende Erzählen von subtil aufgeladenen erotischen Situationen zelebriert Toussaint besonders wirkungsvoll in seinem Roman „Die Wahrheit über Marie“, der in einer Atmosphäre fast unerträglicher Sommerhitze spielt. Toussaint möchte nur wenig im Wort benennen, damit die Gefühle zwischen den Zeilen von den Lesern noch entdeckt werden können. So brachte Péter Esterházy den Abend denn auch mit der Bemerkung auf den Punkt, dass die Frage nach Form und Inhalt in der Literatur im Grunde unsinnig sei. „Es gibt keinen Inhalt“, sagt er. So muss Toussaint, wenn er einen Regen beschreibt, das Wort nie verwenden. Nur die Leser müssen „spüren“, dass es regnet.

Thomas Linden

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