Es ist Wahlkampfjahr. Und wenn Martin Sonneborn, ehemaliger Chefredakteur des „Faktenmagazins“ Titanic und Gründer der Partei „Die Partei“, auf Tour geht, dann hat er seine Hintergedanken. Und die vertritt er unverhohlen: Für die Zulassung zur Bundestagswahl benötigt Die Partei in NRW noch 2000 Unterstützerunterschriften, Sonneborns Wahlkampfteam wartet bereits am Eingang mit Formblatt und Infomaterial auf. Und der Chef auf der Bühne widmet sich, nach einer frech anekdotisch kommentierten Diashow aus Titanic-Titeln und –Verzählerchen, schon bald dem „Propagandateil“, in dem er seine „kleine, populistische, obskure, inhaltsleere Partei“ anpreist – und etablierte, konkurrierende Unternehmen vorführt. Sprich: seine politisch aktiven Mitbürger. Das Rezept entspricht dem Geist der Titanic: Entlarven durch Selbstentlarvung, und reicht das nicht, einfach noch einen drauf setzen. Den Opfern wird sich dabei genähert, wie Situation und Opfer es verlangen: Forsch, subtil oder plump, wohl vorbereitet oder improvisiert, vor allem aber kompetent und intelligent, mit Klugheit und Schärfe.
Der volle Saal im Gloria erlebt eine kurzweilige Werkschau Sonneborns, einen anregenden Satire-Abend, eine Wahlkampfparty. Am Ende der ersten Hälfte stellt sich der Satiriker Fragen aus dem Publikum, im zweiten Teil serviert er Videoclips, die er vornehmlich als Außenreporter für die „heute-show“ vom ZDF produziert hat. Satirische Klingelstreiche quer durch die Republik, und da choices diesen Abend präsentiert, darf dabei natürlich auch die Frage nach der „Zukunft des Kinos“ nicht fehlen, die der Satire-Journalist 2011 auf der Berlinale stellte, als sich Festival-Direktor Dieter Kosslick und Co. dem Kiez öffneten. „Sind Filme mit Handlung im kommen?“ – Sonneborn entpuppt sich als einfühlsames, fachkompetentes Chamäleon, selbst im Pornokino. Aber ebenso beim Parteitreffen der NPD Sachsen-Anhalt, beim Interview mit Pharmalobbyisten oder im Spaßbad in Ostdeutschland. Niemand ist vor Sonneborn sicher, und jeder zittert davor, von ihm zitiert zu werden, so auch dieser Rezensent. Aber: Selbst Schuld! Nach zweieinhalb Stunden erhebt sich der gelassen schlagfertige Schelm - „Ich will das nicht länger ausdehnen. Sie müssen morgen auf die Felder“ – und entlässt ein angeregt grinsendes Publikum ins Wochenende.
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