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Foto: Kino Gesellschaft Köln

Mehr als Fakten

05. Februar 2019

Beim Stranger than Fiction-Dokumentarfilmfest – Festival 02/19

Dokumentarfilm ist längst kein Kassengift mehr. In den letzten Jahren haben es unzählige in die deutschen Kinos geschafft, viele davon waren gut besucht. Dass sich Dokus mittlerweile also zu einer zugkräftigen Programmalternative für den sonst so etablierten Spielfilm gemausert haben, davon profitiert auch das „Stranger than Fiction“-Festival, das in Köln mit „Mamacita“ eröffnet wurde und dieses Jahr noch bis Ende Februar in anderen Städten in NRW stattfindet. Spannend sind diesmal vor allem die Filme, die das stramme Korsett, eine Repräsentation der Wirklichkeit zu sein, abgelegt haben und sich neuen Erzählformen zuwenden.

Einer, auf den das Festival besonders stolz sein kann, ist die preisgekrönte Dokumentation „Island of the Hungry Ghosts“. Gabrielle Bradys Film ist in dem Fall nicht nur als Anklage gegen eine in den deutschen Medien kaum thematisierte, knallharte Flüchtlingspolitik der australischen Behörden zu sehen. Hier tragen das brillante Sound-Design, die gewaltige Bildsprache und überhaupt das Erzählen zu einer Methaphorik bei, die beinahe Spielfilmcharakter hat. Mehrere Handlungsstränge werden kunstvoll miteinander verwoben, darunter die alljährliche Krabbenwanderung auf der gezeigten Flüchtlingsinsel, die neben den Therapiestunden der Traumetherapeutin Pho Lin Lee eine bedeutungsvolle Rolle spielen.

Dass einige der gezeigten Szenen inszeniert sind, leugnet die Produzentin Gizem Acarla, die den Film in der Filmpalette vorstellte, nicht. Im Gegenteil: „Uns ging es nicht darum, einen journalistischen Faktenfilm zu drehen. Die Symbolik war uns wichtig, und mit der Mehrstimmigkeit verschiedener, erzählerischer Perspektiven auch im Dokubereich zu spielen.“ Sicher ein Grund, warum „Islands of the Hungry Ghosts“ dann nun mehr kino- als fernsehtauglich ist.


„Dream Away“

Johanna Domke und Marouan Omara vereinen in der gleichfalls hoch gelobten Doku „Dream Away“ ebenso fiktionales Erzählen mit der Realität. Aber auch, weil sie müssen. Der Film, der den Zusammenprall von arabischer Kultur und der westlichen Welt thematisiert, musste den Behörden in Ägypten als Spielfilm vorgelegt werden – und zwar mit kompletter Skriptvorlage. „Für einen Dokumentarfilm hätten wir niemals die Drehgenehmigung bekommen“, erklärte Domke in der Filmpalette. „Für die Protagonisten war es außerdem wichtig, dass sie ihre natürlich realen Geschichten gewissermaßen selbst inszenieren. Einfach, um das hinterher auch vor der Familie zu rechtfertigen.“ Es habe sogar ein Casting für die jungen Protagonisten gegeben, die in Sharm El Sheikh unter anderem mit einem inszenierten Affen über ihr Leben reden. Ein Stilmittel, das den Film umso skurriler macht – und damit die Trostlosigkeit der ehemaligen Touristenhochburg auf ironische Weise betont.

Ganz anders macht es Marie Wilke in „Aggregat“, gefördert vom Gerd-Ruge-Stipendium der Film- und Medienstiftung NRW. Die Regisseurin plädiert in ihrem Film vielmehr für das Zeigen als für das Erzählen. Dem klassischen Beobachtungsfilm, der das Aufkeimen von Rechtsdruck, National- und Populismus in Deutschland – man kann fast sagen: untersucht, ließen die Initiatoren des Festivals Joachim Kühn und Dirk Steinkühler im alljährlichen Werkstattgespräch in der Filmpalette viel Raum. „‚Aggregat‘ enthält sich natürlich stärker als andere Filme“, erklärt Steinkühler. „Eine Haltung zu haben oder gar ins Geschehen einzugreifen, sei es als Protagonist oder weil die Regisseure inszenatorisch arbeiten, kann aber auch gut sein. Das kommt immer auf das Format an.“


„Aggregat“

Marie Wilke, die unter anderem bei Klaus Wildenhahn gelernt hat, macht es im Hinblick auf die derzeitige Demokratiekrise allerdings genau richtig. Weil es eben darum geht, kein aufbauschendes oder gar trügerisches Bild zu zeichnen, sondern nüchtern und objektiv zu bleiben. So kennen wir den Dokumentarfilm eigentlich. Ihn bei „Stranger Than Fiction“ allerdings auch einmal anders zu erleben, gibt Anstöße für neue Genres, die in den nächsten Jahren sicherlich immer interessanter für das Publikum werden könnten.

Barbara Franke

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