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Simon Eckert (hinten) und Seán McDonagh (vorne)
Foto: Schauspiel Köln

Vorwärts zum Nullpunkt der Kunst

27. März 2014

Robert Borgmann dramatisiert am Schauspiel Köln Andrej Tarkowskis Film „Andrej Rubljow“ – Premiere 04/14

choices: Herr Borgmann, wo finden Sie sich als Künstler im Ikonenmaler Andrej Rubljow wieder?
Robert Borgmann: Ich entdecke mich wieder in der Suche nach einem Sinn und möglicherweise sogar nach der Wahrheit, aber ich entdecke mich auch wieder im Scheitern, also zum Beispiel manchmal auf eine Probebühne zu gehen und keine Ahnung zu haben, wo ich anfangen soll.

Was fasziniert Sie an dem Stoff?
Ich beschäftige mich seit mehr als 15 Jahren mit Andrej Tarkowski, seinen Filmen, seiner Bildsprache, seiner Religiosität, mit seiner Ruhe und Stille. „Andrej Rubljow“ schleppe ich schon seit fünf Jahren mit mir herum. Es beeindruckt mich, wie dieser Film Menschen in Landschaften einfängt, wie er Menschen gegen Natur kämpfen lässt, wie er Atmosphären kreiert. Und mit der Glockenguss-Episode im letzten Teil hat Tarkowski eines der größten Meisterwerke geschaffen. Das steht für mich in einer Reihe mit Velasquez‘ „Papst Innozenz III.“ und Werken von Francis Bacon und Anselm Kiefer.

In dieser Episode gibt sich ein 14-jähriger Junge als Glockengießer aus. Unter seiner Anleitung wird dann die Glocke tatsächlich gegossen. Der Junge ist ein Hochstapler, aber auch ein Künstler. Was fasziniert Andrej Rubljow so sehr daran, dass er sein Schweigegelübde aufgibt?

Robert Borgmann
Porträt: Rolf Arnoldt

Robert Borgmann, 1980 in Erfurt geboren, ist auf vielfältige Weise mit Köln verbunden. Er hat nicht nur an der hiesigen Uni Philosophie und Germanistik studiert (und anschließend Bildende Kunst in London). Er war zudem am Schauspiel Köln als Regie- und Dramaturgieassistent beschäftigt, bevor er sich zum Regiestudium an der renommierten Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin entschloss. Als freier Regisseur gastierte er in Zürich, Berlin und Leipzig. Am Schauspiel Köln hat er noch unter Karin Beier sich mit „Ausgehen 1-3“ vorgestellt. 2012 inszenierte er dann „Wir Kinder von Theben“ nach Euripides.

Es ist die Erkenntnis, dass es so etwas wie die Gabe gibt, die mehr mit Radikalität, als mit dem Können verbunden ist – und der man dann auch zu folgen hat. Ein Junge ist in einer existenziellen Situation dazu verdammt, ein Werk zu erschaffen ohne irgendeine Kenntnis davon. Mir kommt es manchmal so vor, als ob eine göttliche Hand das Bewusstsein und das Geschick dieses Jungen lenkt, der mit einer unglaublichen Radikalität 140 Leute dirigiert. Der Blick des Jungen blendet alles aus, was außen liegt. Da kommt es vor, dass aus der Radikalität auch mal Brutalität wird und etwas Stalinistisches durchscheint. Das ist dann die Schattenseite der Schöpfung, nämlich Zerstörung. So banal das klingt.

In der dritten Szene „Die Passion“ führen Theophanes der Grieche und Andrej Rubljow eine ausführliche Kunstdiskussion. Worum geht es da?
Vereinfacht gesagt, glaubt Theophanes an die göttliche Idee und richtet sein Schaffen danach aus, während Rubljow das Göttliche in den Handlungen der Menschen sieht. Er ist eigentlich der erste Künstler, der sich noch vor Giotto vorsichtig in die dritte Dimension wagt und im Abbilden heiliger Ereignisse Menschen zu malen beginnt. Andrej Rubljow sucht nicht im Atelier nach der Kunst, sondern in der Welt.

Sehen Sie Parallelen zwischen dem Russland um 1500 mit Bürgerkrieg, Epidemien, Hunger und Glaubensstreit und heute?
Die Vereinfachung von politischen Bezüge wie jetzt zur Krise in der Ukraine halte ich für fadenscheinig. Aber natürlich würde ich einen solchen Stoff nicht anfassen, wenn er nicht eine Energie hätte, die ich auch heute real auffinde.

Wo siedeln Sie den Stoff an?
In der Zukunft, als vorsichtige Science Fiction. Die Überlegung ist folgende: Wie kann man an einen Zeitpunkt gelangen, an dem es noch keine Kunst oder wieder keine Kunst gibt? Einen historischen Moment, in dem man den Kollegen Jesus wieder ans Kreuz nagelt. Der Maler Theophanes sagt im Film, dass sich alles in Kreisbewegungen abspielt und eine Katastrophe die nächste ablöst. Das hat uns auf die Idee gebracht, das christliche Wertesystem einfach einmal beiseite zu wischen und das Geschehen etwa 2050 nach einer angenommenen Katastrophe spielen lassen.

Das klingt nach Tarkowskis Film „Stalker“.
Der Abend benutzt Motive und Fragen aus beiden Filmen Tarkowskis: Was heißt Erinnerung? Was heißt Zukunft? Was bedeutet es, frei zu sein, wenn Freiheit nur funktioniert, wenn man eingesperrt ist? „Stalker“ ist in meinen Arbeiten immer als Energie mit drinnen – jedenfalls wenn sie einigermaßen gelingen.

Tarkowskis Film besteht aus eher lose zusammenhängenden Episoden, die sich nicht zu einem Biopic addieren lassen. Ist das ein Vorteil für die Bühne?
Ja. Ich halte mich trotzdem an die Chronologie der Handlung, weil es wichtig ist, um den Reifeprozess von Rubljow, aber auch den der anderen Figuren, die im Film ein wenig unter den Tisch fallen, nachzuvollziehen. Diese Chronologie ist in der Novelle deutlicher als im Film. Fast alle russischen Filmemacher mussten eine Vorstudie zu ihren Filmen schreiben. Das ist bei Tarkowski im Grunde genommen ein Roman von 350 Seiten, auf dem unsere Theaterfassung beruht.

Gibt es gravierende Unterschiede zwischen Film und Novelle?
Hauptsächlich durch die Auslassungen, die Tarkowski gemacht hat, weil er zum Beispiel einen Schauspieler nicht toll fand. Dann hat er einige Dinge zusammengezogen, die man in der Zeitkunst Film sehr gut montieren kann, die aber auf dem Theater, das ja eine Raumkunst ist, weniger sinnvoll sind. Die Liebe von Rubljow zu dem Mädchen, einer Hexe, die er während des Tartarenüberfalls rettet, ist zum Beispiel in der Novelle expliziter. Was mich aber am Film wiederum fasziniert, ist, dass irgendwann die Hauptfigur verschwindet und einfach nicht mehr da ist. Eine ganz ungewöhnliche Dramaturgie.

Sie haben vorhin von der Landschaft gesprochen, die im Film eine große Rolle spielt. Wie lässt sich das auf die Bühne übersetzen?
Ein Filmbild im Theater nachzustellen und sei es durch Videoprojektion, halte ich für eine Verfehlung. Der Maler Samuel Weikopf wird während der Aufführung live zeichnen. Der ganze Bühnenboden und die Wände werden so zu einem Riesenzeichenbrett. Daneben benutze ich auch lange Prosabeschreibungen von Landschaften, die die Zuschauer dann im Kopf vervollständigen müssen. Dann wird es Live-Musik von einer Leipziger Band geben, deren musikalische Emotionalität man vielleicht mit Wind, einem heißen Sommertag oder Kälte verbindet. Klang schafft ja ebenfalls Raum.

Am Ende wechselt der Film von Schwarzweiß zur Farbe und zeigt zunächst die Ikonen Rubljows, dann eine Landschaft mit Pferden?
Für mich bedeutet das, dass das Leben auch weiter geht, wenn die Welt untergangen ist. Eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Natur und den von Mensch gemachten Artefakten. Aber ich versuche, mich da zurückzuhalten. Das Schöne an großen Werken liegt darin, dass sie ihr Geheimnis bewahren. Das ist auch im Theater ein wichtiger Aspekt. Wenn ich nur abzubilden versuche, was uns so alltäglich beschäftigt, dann komme ich nicht weit. Ich möchte nicht sagen, dass es mich langweilt, aber es macht mich dumpf. Natürlich kann ich sagen, woher der Wind weht, aber was er mit mir macht… Es gibt Geheimnisse in unserer Welt und es gibt eine Spiritualität. Tarkowski ist einer der ganz wenigen gewesen, der das gegen den Zeitgeist behauptet hat.

Sie sind also kein Freund des diskursiven Theaters?
Ganz sicher nicht. Ich habe damit meine notwendigen Erfahrungen gesammelt. Das hat aber nichts mit mir zu tun. Das Theater ist ein besonderer Raum, der eine große Kraft hat. Das heißt nicht, dass ich mich nicht für die Welt interessiere. Aber Theater hat für mich nichts mit Abbildungen, Diskursen und Dokumentationen zu tun. Die Bühne ist für mich ein heiliger Raum, so wie sie das auch für Regisseure wie Klaus Michael Grüber, Dimiter Gotscheff oder Luk Perceval war, die ich alle sehr schätze. Theater hat etwas mit Beschwörung, ja mit Geisterbeschwörung zu tun. Das sind ja alles tote Figuren, mit denen wir uns beschäftigen. Die muss man erst einmal ausgraben oder aus der Luft ziehen. Deswegen kommt da automatisch etwas Spirituelles ins Spiel, obwohl das ein leicht verkrüppelter Begriff ist. Spiritualität hat nichts mit zusammengebastelten Göttern zu tun, sondern mit einer Bewegung, die mich in Gang setzt und der ich mich zur Verfügung zu stellen habe.

„Andrej Rubljow“ | R: Robert Borgmann | 4.(P), 6., 11.4. 19.30 Uhr | Schauspiel Köln | 0221 221 28 400

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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