Haustiere sind wohl die Tierart, die am wenigsten vom Aussterben bedroht ist. Haustiere „machen nichts“. Domestizierte Tiere sind ihrem ursprünglichen Wesen entzüchtet, ihrer natürlichen Umgebung beraubt, und sie bekommen Namen. Nutztiere hingegen bekommen keine Namen, denn man will sie nutzen und keine Beziehung mit ihnen aufbauen – letzteres ist bekanntlich nicht zweckdienlich für eine gesunde Täter-Opfer-Beziehung. Ausnahme: Schweinchen Babe auf dem Biohof, wo Nutztiere auch Namen tragen und sich so lange für Haustiere halten, bis sie unters Messer kommen. Noch seltener gibt der Mensch Wildtieren Namen, dafür müssen sie es schon in den Zirkus, in den Zoo oder als „Problembär Bruno“ (Abschuss: 26. Juni 2006) auf die Seite Eins schaffen.
Unbeherrschbar wild
Alle Tiere haben derweil eines gemeinsam: Der Mensch versteht sie nicht, aber er spricht zu ihnen. Als Herrchen oder Frauchen wohlgemerkt, als Herrscher und Erzieher, der dem Wild das Wilde austreibt. Es domestiziert. Der Mensch will das Tier dressieren und beherrschen. Deshalb ist ihm das Wildtier nicht geheuer, das sich derlei Ansinnen verweigert. Dass Wildtiere so bleiben wollen, wie sie sind, macht sie unlesbar, unbeherrschbar – gemeingefährlich! Und jetzt machen immer mehr von ihnen über die Grenze und dringen in unsere Lebensräume ein, jetzt, nachdem wir sie so nachhaltig aus ihren Lebensräumen verdrängt hatten. Also erwacht in uns wieder die Angst vorm bösen Grimm’schen Wolf, während weiterhin ein Autounfall die wahrscheinlichste Ursache dafür bleibt, durch ein Wildtier nennenswerten Schaden zu erleiden. Aber Wildtiere reißen unsere Nutztiere, und dafür gehören sie vertrieben und getötet. So ist das nun mal.
Wir jagen, was uns ähnelt?
Wie kann der sogenannte zivilisierte Mensch also einen gesunden Zugang zum Wild bekommen? Nun, vermutlich am besten über unsere unbefangenen Kinder, die noch ein gesundes Verhältnis zu den Tieren aufbauen können. Und zwar nicht, indem wir die Kids im Zoo parken, wo viele ungefährdete Wild- und Raubtiere vor sich hin darben, keinen Bock auf Sex haben, zu früh sterben und dabei in endlosen TV-Formaten mit Bussybär-Stimme aus dem Off vermenschlicht werden. Nicht ohne Grund leben die Tiere in der freien Wildbahn länger. Es sei denn, sie werden dort von Großtier-„Jäger:innen“ abgeknallt, denen einer abgeht, wenn sie den Abzug drücken und in der Folge sinnlos ein Löwe stirbt – wobei weibliche Wildtier-Sniper wie Tess Talley scheinbar eher auf Giraffen stehen. Trophäenjäger: Löwe. Trophäenjägerin: Giraffe. Anders als bei Menschenmördern, sucht sich derlei Menschenschlag scheinbar im Tierreich (vermeintlich) wesensnahe Opfer, was zu vertiefen hier den Rahmen sprengt.
Zurück in Freiheit
Konzentrieren wir uns also lieber wieder auf die Kinder, denen man inzwischen wunderbar den Zugang zu Wildtieren fernab von Gitter und Zaun ermöglichen kann, zum Beispiel als Artenretterin aus der Ferne oder mit einer Patenschaft in der regionalen Greifvogel-Auffangstation. Hier müssen die Kinder (bzw. alsbald ihre Eltern) weder Käfige putzen noch Gassi gehen. Und ihnen geht dabei vielleicht ein Licht auf: Das größte Raub- und Wildtier ist und bleibt der Mensch. Eine verrohte Art, die sich nicht zähmen lassen will und ihre zerstörerische Ausrichtung entweder individuell durchs Zielfernrohr oder kollektiv „zivilisiert“ auslebt. Als kleiner Pate erlebt das Kind nicht Domestizierung und Einkerkerung des Tiers, es erlebt seine Auswilderung. Und nanu: Damit ist hier gar nicht das Aussetzen des Tieres an der Raststätte gemeint.
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