Künstler sind glückliche Menschen, denn Geld spielt für sie keine Rolle. Kunst zu schaffen, ist ihnen allemal wichtiger als der materielle Nutzen, den sie aus ihrer Tätigkeit ziehen könnten. Der Grund: Sie empfinden ihre Arbeit als „selbstbestimmt und vielseitig“. Das hat eben ein Züricher Soziologenteam herausgefunden. „Im Gegensatz zu anderen Berufstätigen sind Künstler umso glücklicher mit ihrer Arbeit, je mehr Stunden sie wöchentlich arbeiten“, berichten die Experten sogar.
Schließlich ist jeder dritte Künstler auch sein eigener Chef: „Unter Menschen in nicht-künstlerischen Berufen ist das nur knapp jeder Zehnte“.Ein gutes Einkommen ist diesen Selbstständigen dabei nur halb so wichtig wie anderen Befragten. Macht Arbeit glücklich? Oder vielleicht doch eher Geld? Das Streben anach Glück ist jedenfalls eine zentrale Idee der modernen Bürgergesellschaffen. Nur Heißt das Ziel jetzt "Freiheit - Gleichheit - Eigentum" oder "Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit"? Das hat seinen Preis: Egal ob Schauspieler, Bildhauer oder nicht verbeamteter Musiker, im Ergebnis verdienen sie im Durchschnitt weniger als andere Berufstätige. Führende Wirtschaftswissenschaftler halten ein solches Verhalten für vollkommen irre. Nach den gängigen ökonomischen Modellen hat der durchschnittlich intelligente Homo Oeconomicus stets „rational“ zu agieren und alles zu tun, um mit seiner Arbeit in möglichst kurzer Zeit mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Geld zu verdienen. Deshalb dient dem neoliberalen Mainstream auch nicht mehr der Investmentbanker als Leitbild, sondern nur noch dessen Computerprogramm. Das ist allemal schneller und profitabler. So soll Kapitalismus funktionieren.
Lebensqualität und Glück
Vor dem Hintergrund der andauernden Krisen hat freilich das Unwohlsein zugenommen. Renommierte Ökonomen wie HWWI-Chef Thomas Staubhaar finden mittlerweile, dass das Ansehen ihrer Zunft zu Recht gesunken ist. Er konstatiert bei vielen Kollegen „Realitätsverlust“ und fordert eine Neuausrichtung des Fachs. Damit steht er nicht allein. Längst ist international eine Diskussion in Gang gekommen, die eine stärkere Orientierung am Allgemeinwohl fordert. Begriffe wie well-being, life-work-balance, Inklusion oder – altmodischer ausgedrückt – Lebensqualität und soziale Integration sollen als Leitbild dienen. Ganz wichtig dabei: eine einigermaßen faire Verteilung des Einkommens. In den letzten Jahren hat sich die Schere zwischen Arm und Reich in vielen Gesellschaften, insbesondere hierzulande, immer weiter geöffnet.
In der Kritik steht zunehmend das BIP. Das Bruttoinlandsprodukt addiert alle auf Geld basierenden Leistungen einer Volkswirtschaft und errechnet so den gesellschaftlichen Reichtum. Das Zahlenwerk taugt aber nur bedingt, die tatsächlichen gesellschaftlichen Zustände zu erfassen. „Wir müssen uns darüber klar werden, was wir eigentlich messen wollen“, meinen etwa Nobel-Preisträger wie Joseph Stieglitz und Amartya Sen und plädieren dafür, beim BIP neben Einkommen und Beschäftigung auch Kriterien wie Wohnqualität, Bildung und Gesundheit, aber auch Bürgerschaftliches Engagement, Sicherheit und Wahlbeteiligung zu berücksichtigen. Nicht mehr der Reichtum an sich soll im Mittelpunkt stehen, sondern damit verbundene Werte wie Lebenszufriedenheit und Glück. Auf dem Papier gehört das Streben danach seit Jahrhunderten zu den garantierten Versprechen des Systems. Inzwischen haben die UN einen Index zur Bewertung von Lebensqualität entwickelt. Sogar der Bundestag hat eine eigene Enquete-Kommission eingerichtet, die sich der Probleme von „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ annehmen soll.
Seines Glückes Schmied
Glück ist jedenfalls ein relativer Begriff. Was dem einen genügt, macht den anderen vielleicht unglücklich. Künstler zum Beispiel sind mit wenig Geld glücklich, doch kann auch viel Geld glücklich machen? Eine Frage, die man vielleicht Frau Schickedanz hätte stellen können, bevor sie die Herren Oppenheim und Esch traf. Jetzt ist sie ärmer dran. Ihr Einkommen soll nur noch dem einer durchschnittlichen Kulturschaffenden entsprechen. Deshalb klagt sie vor Kölner Gerichten auf die entgangenen Milliarden. Um glücklich zu werden, braucht es freilich mehr, wenn man dem von der Deutschen Post gesponserten „Glücksatlas“ glauben darf. Danach gehören neben dem Geld auch gute Gesundheit, eine gute Partnerschaft, Freunde und Bekannte, aber auch regelmäßige sportliche und/oder kulturelle und religiöse Aktivitäten dazu. Frau S. könnte auch an den Rhein ziehen, denn der Großraum Köln kann „als glückliche Region gelten“ – so der Atlas (auch wenn Hamburg oder Bayern noch glücklicher sind). Allerdings wird unter dem Dom einer der höchsten Stress-Werte überhaupt verzeichnet. Dazu ist Köln in einem wirklich Spitze: Hier ist die „größte Ungleichheit“ in der Republik gegeben. Es gibt also noch einiges zu tun.
In der aktuellen politischen Debatte spielen Lebensqualität/Gleichheit/Solidarität (noch) eine eher kleine Rolle. Der neue Bundespräsident kam ins Amt, weil er stattdessen die „Freiheit“ lobte und soziale Bewegungen als unpassend empfand. Das war ganz im Sinne des Springer-Konzerns, der den Kandidaten mit Hilfe des Grünen-Chefs Jürgen Trittin bis hinein in SPD und FDP lancierte. Trittin hat auch gleich das Gaucksche Freiheitsgesetz interpretiert: „Auch Hartz IV-Empfänger haben das Recht zu demonstrieren.“ Das ist die moderne Variante eines Spruchs, den wir von ganz früher kennen: „Reiche wie Arme haben das Recht, unter den Brücken von Paris zu nächtigen“. Glücklich ist, wer vergisst …
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