Das Flugzeug trudelt, die Aktienkurse steigen. Gibt es einen Zusammenhang? Die Mitinhaberin eines börsennotierten Unternehmens für implantierbare Chips sitzt im Jet neben einem nervösen Mann namens Mohammed, der sich als Christian Postel ausgibt. Gebannt starrt sie auf ihr Handy. Rosi Ulrichs und Sergej Mainhardts Musiktheater „format BLACKBOX:“ spürt den algorithmischen Kontrollsystemen nach, die ein immer dichteres Netz der Überwachung spinnen. Im Keller des FWT sitzen die Zuschauer eines Vorhangs mit verschiebbaren Lamellen, auf die Radarbildschirme, Zahlenkolonnen, Kontrollleuchten, fiktive Landkarten projiziert werden. Ein wild aufflammendes Farbgewitter mit immer neuen Befehlen, die mit akustischen Durchsagen verkoppelt sind. Der Mann und die Frau (Isis Krüger, Daniel Berger) sitzen in futuristisch angehauchten Kostümen vor der Leinwand, ihre Gesichter sind projektiv verdoppelt.
Die Konkretion des Librettos droht anfangs Maingardts Musik (Live-Elektronik und akustische Instrumente) zum Katastrophensoundtrack zu reduzieren. Der Verdacht löst sich bald auf, weil die Geschichte selbst ins Trudeln gerät, sich verliert in Ahnungen, Träumen und Erinnerungen – über denen wie das wachende Auge Gottes der digitale Analyst AdamA schwebt, der die Welt in seiner algorithmischen Kralle hält. Die dräuenden, zirpenden, pulsierenden Klänge des Keyboards, die Cluster von Saxophon, Kontrabass, Viola und Flöte, die Klappenschläge der Blasinstrumente lassen nicht nur körperliche Prozesse während des Trudelns des Flugzeugs erahnen, sind klangliche Peristaltik somatischer Prozesse – sie wirken selbst unmittelbar auf den Körper des Hörers: vom dröhnendem Rauschen bis zu schmerzhaftem Sirren im Diskant. Die haptische Präsenz der Musik verwahrt sich so gegen jeden Verdacht der Illustration. Mehr noch, sie suggeriert immer wieder, klangliches Substrat eben jener technologischen Prozesse zu sein, denen sie doch eigentlich erst entspringt. Das Ensemble Garage brilliert mit geradezu algorithmischer Präzision. Dass der Abend zugleich Assoziationen in alle dystopischen Richtungen freisetzt, versteht sich von selbst.
„format BLACKBOX:“ | R: Sergej Maingardt, Rosi Ulrich | Sa 7.5., So 8.5. 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
Vom Wert der Arbeit
8. Auftakt Festival am FWT – Lesung 09/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Das 360-Grad-Feedback
„Fleischmaschine“ am Freien Werkstatt Theater – Prolog 01/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Die fünfte Gewalt
FWT mit neuer Besetzung – Theater am Rhein 11/23
Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23
Vorbereitung aufs Alter
„Die Gruppe“ im Freien Werkstatt Theater – Prolog 09/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Groteskes Reenactment
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Prolog 07/23
Muss alles anders?
„Alles muss anders“ am FWT – Theater am Rhein 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24