„Was geht in Menschen vor, die um drei Uhr morgens am Küchentisch sitzen und versuchen, sich mit einem Marmeladeglas den Wangenknochen zu brechen, um möglichst männlich auszusehen?“, fragt Frederik Werth. Die Frage zielt auf TikTok-Videos, die unterschiedlichste Formen der Modellierung des Körpers propagieren. Es geht dabei nicht um die Versprechen einer aus dem Ruder laufenden Schönheitsindustrie, sondern um einen Selbst-Gestaltungswillen, dem der eigene Körper unterworfen wird: „Wir betrachten uns dabei selbst als Skulptur“, sagt Regisseur Frederik Werth.
Mit der Produktion „Fleischmaschine“ untersuchen Werth und sein Team diesen Prozess der unmittelbar körperlichen Selbstoptimierung. Diese Sehnsucht ist nicht neu, der Mensch hat zeitlebens an sich herumgebastelt. Doch mit der Digitalisierung ändert sich etwas Entscheidendes. Frederik Werth spricht vom Körper als „Bio-Aktie“: „Wir betrachten unseren Körper nicht mehr als unseren Körper, sondern als etwas digital Verkaufbares im Sinne eines Ich-Ideals“. Der ständige Blick in die digitale Kamera treibe die totale Wahrnehmung von außen voran bis zu einem „360 Grad-Feedback“. Und dieses Körper-Ideal ist letztlich eines, das durch Algorithmen vorgegeben sei, so Frederick Werth.
Klingt nach viel Theorie, doch die Produktion übersetzt diesen narzisstischen Vorgang ganz konkret auf die Bühne. Frederik Werth und sein Team haben eine Kameramaschine konstruiert, die sich eigenständig bewegt und der die Performer:innen hinterherlaufen müssen – bis zur Erschöpfung oder dem völligen Verlust irgendeiner zwischenmenschlichen Kommunikation zugunsten eines Dialogs mit der Maschine. Auf der textlichen Ebene kombiniert „Fleischmaschine“ die zum Teil schrägen Texte aus TikTok-Videos mit analytischen Texten.
Letztlich stelle sich damit, so Frederik Werth, die Frage nach der Mechanisierung des Körpers. Denn: Das Menschenbild habe sich immer auch entlang der technologischen Möglichkeiten entwickelt. Und in jeder Vervollkommnung des Menschen schlummert letztlich das Heilsversprechen, Gebrechen und Sterblichkeit hinter sich zu lassen. „Es gibt allerdings immer eine Lücke zwischen Maschine und Mensch“, sagt Fredrick Werth. Und es sind genau diese Bruchstellen, die in der Produktion „Fleischmaschine“ sichtbar gemacht werden sollen.
Fleischmaschine | R: Frederik Werth | 18., 20.1., 22., 25.2. | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
Vom Wert der Arbeit
8. Auftakt Festival am FWT – Lesung 09/24
Wo ist Ich?
„Fleischmaschine“ am FWT – Theater am Rhein 02/24
Das diffamierende Drittel
Einkommensunterschiede in der Kultur – Theater in NRW 12/23
Die fünfte Gewalt
FWT mit neuer Besetzung – Theater am Rhein 11/23
Menschliche Abgründe
„Mister Paradise“ am FWT – Theater am Rhein 11/23
Vorbereitung aufs Alter
„Die Gruppe“ im Freien Werkstatt Theater – Prolog 09/23
Rechtfertigung auf Skiern
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Theater am Rhein 08/23
Groteskes Reenactment
„Der Nachbar des Seins“ am FWT – Prolog 07/23
Muss alles anders?
„Alles muss anders“ am FWT – Theater am Rhein 05/23
Spätes Licht
Studiobühne zeigt „Nachttarif“ – Theater am Rhein 04/23
Sehnsucht nach einer Welt, die einem antwortet
„Alles in Strömen“ am Freien Werkstatt Theater – Auftritt 03/23
Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Freude und Bedrückung
35. Vergabe der Kölner Tanz- und Theaterpreise in der SK Stiftung Kultur – Bühne 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Lang lebe das Nichts
„Der König stirbt“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/24
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24