Der Raum ist von einem tiefen vibrierenden Brummen erfüllt, das plötzlich übergeht in das Quartett aus Beethovens „Fidelio“, einem der berührendsten Ensembles der Opernliteratur: Vier Personen singen in einem kontemplativen Andante losgelöst von-, aber doch bezogen aufeinander von ihren verborgenen Gefühlen, musikalisch eng verbunden durch einen Kanon. Das Quartett zieht sich wie ein roter Faden, mal im Original, mal als Chanson, mal als Motivfragment durch den ganzen Abend und dient als Modell für das, worum es geht: Die Gruppe Polar Publik um Regisseurin Eva-Maria Baumeister setzt sich in ihrer neuen Produktion „Alles in Strömen“ mit dem Phänomen der Resonanz auseinander.
Man liegt nicht falsch, wenn man als Anregung Hartmut Rosas große philosophische Studie von 2016 vermutet. Die Zuschauer:innen nehmen auf Stühlen Platz, die um kleine, magisch von innen beleuchtete Snaredrums gruppiert sind. Katharina Sim, Fiona Metscher und Jimin Seo eilen durch den Raum und hören die Wände ab: „Ich glaub, ich hab den Ton gefunden“. Sätze wie „Resonanz ist die Sehnsucht nach einer Welt, die einem antwortet“ oder „Es muss doch möglich sein, anders in die Welt gestellt zu sein“ deuten an, dass es nicht nur um eine „Soziologie der Weltbeziehung“ geht, wie es bei Rosa heißt, sondern dass darin ein zutiefst utopisches Potential gegen den Kapitalismus als Lebensform beschworen wird. Resonanz ist ein dehnbares Phänomen, das sich als Beziehungsmodus auf schlicht alles, von der Natur über Covid, Migration bis zur Ding-Welt, übertragen lässt.
Fiona Metscher steigt auf einen Stuhl und hält ein kleines philosophisches Seminar im Schnelldurchlauf: Dramaturgisches Strukturmoment des Abends sind Rosas zentrale Charakteristika der Resonanzbeziehung, also das Gegenüber, die Selbstwirksamkeit, die Transformation und die Unverfügbarkeit. Dabei übertreibt es Polar Publik gelegentlich etwas mit den Verweisen auf Schwingungsverhältnisse oder Amplitudenausschlägen. Spannend wird es immer dann, wenn das Phänomen sinnlich erfahrbar wird. Über Kopfhörer werden O-Töne aus Befragungen von Menschen eingespielt, die von Momenten intensivster Resonanz berichten, sei es durch Naturerfahrungen oder durch Begegnungen mit Mitmenschen vom berührenden Blick bis zur Liebeserklärung. Katharina Sim gibt die Zauberkünstlerin, die mit magischen Gesten zwei Metronome in unterschiedlichen Taktfrequenzen zum Klingen und damit zum temporären Gleichklang bringt – ein Bild, das an Györgi Ligetis berühmtes Stück „poème symphonique“ für einhundert Metronome erinnert. Bestimmte Tonfrequenzen lassen die Snaredrums mächtig scheppern, bis die Musikerin Oxana Omelchuk sie händisch zum Schweigen bringt. Der Gitarrist Axel Lindner wiederum testet mit seinen Akkorden nicht nur die Resonanz- (und Echo-)fähigkeit des Raumes, sondern spielt zusammen mit Opernsängerin Ute Eisenhut absonderliche Chansonfragmente („Je vous entend, je ne vous entends pas“). Ein kleiner, so sinnlicher wie instruktiver Abend über ein großes Thema.
Alles in Strömen | R: Eva-Maria Baumeister | 30., 31.3. jeweils 20 Uhr | Freies Werkstatt Theater | 0221 32 78 17
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