Guten Themenausstellungen liegt in der Regel die Feststellung und dann Beobachtung bestimmter Phänomene zugrunde, die in der Gesellschaft virulent sind und, vielleicht noch durch die Massenmedien unterstützt, forciert werden. In welcher Form diese Phänomene dann in die Sphäre der Kunst dringen und inwieweit sie tiefere Erkenntnisse über den Zustand der Kunst wie auch die Gesellschaft mitteilen, das vermitteln dann noch die Präsentationen selbst. So verstanden, ist die Ausstellung „HEIMsuchung“ im Kunstmuseum Bonn eine mustergültige Schau. Sie geht von der These aus, dass das Vertraute unserer Wohnung und unseres Lebens brüchig geworden ist, dass man den einstigen Zeichen und Riten nicht mehr trauen darf, und sie konstatiert anhand einzelner künstlerischer Beiträge eine immense atmosphärische Aufhitzung des Individuums. Der Trick dabei ist, dass die Ausstellungsräume des Kunstmuseums Bonn selbst unsicher werden, tote Ecken enthalten, ungeahnte Nebenräume öffnen, wir uns überhaupt wie auf unsicherem Terrain bewegen. Sind bestimmte Wandteile Ausstattung des Museums oder schon künstlerische Beiträge? Welche Rolle tragen die Farben der Wände und Einbauten?
Wem das freilich zu illustrativ und zu sehr kuratorischer Fingerzeig ist, der findet immer noch eine Menge eindrucksvoller Kunstwerke, mit dem Schwerpunkt auf raumbezogenem Objekt, Fotografie und Film. Von Mal zu Mal wechselt die Perspektive auf die Wohnung oder das Haus. Einmal von oben, dann von unten gesehen, ändern sich die Dimensionen zwischen riesig und Puppenhaus, zwischen Modell und realer Begehbarkeit – etwa draußen, vor dem Museum, beim „Narrow House“ von Erwin Wurm. Praktiziert wird dies dann im Video „Die Zuckerdose“ von Susanne Kutter, bei dem, gesehen aus der Vogelperspektive, ein Raum, der zunächst das traute Heim eines gescheiterten Beziehungsversuches ist, mittels einer beweglichen Wand brachial zusammengeschoben wird und zersplittert. Spätestens bei diesem Beitrag wird klar, dass das Haus, die Wohnung auch Spiegel psychischer Befindlichkeiten sein kann, dass das Labyrinthische wiederum etwas von einer Suche nach dem Selbst besitzt. Selten ist das lustig, was man in dieser Ausstellung sieht, in der Dichte vielleicht etwas bedeutungsschwer und forciert … Aber diese Inszenierung geheimnisvoller Wirkkräfte sollte man doch besuchen: Es lohnt sich.
„HEIMsuchung – Unsichere Räume in der Kunst der Gegenwart“ | bis 25. August im Kunstmuseum Bonn | www.kunstmuseum-bonn.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24
Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24
Die Farbe der Ironie
Bonn zeigt Werkschau zu Wiebke Siem – Kunst 07/23
Aus dem Nachbarland
Dorothea von Stetten-Kunstpreis im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 08/22
Reise ins Körpergehäuse
Maria Lassnig im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 03/22
Ursachen der kunstvollen Wirkung
„Passierschein in die Zukunft“ im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 12/21
Betörende Melancholie garantiert
Norbert Schwontkowski im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 01/20
Maler unterwegs
„Jetzt!“ im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/19
Früher adelten die Museen Qualität
Mehr als 500 Bilder: „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ – Kunstwandel 11/19
Herrschaft über Bildnisse
„Bild Macht Kunst“ im Kunstmuseum Bochum – Kunst 11/18
Digital, böse, und etwas flüssig
Der dänische Blick: 18. Dorothea von Stetten Kunstpreis in Bonn – Kunstwandel 09/18
Die Vorstellungen weigern sich
Thomas Scheibitz im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 03/18
Menschen allein
Lars Eidingers Ausstellung „O Mensch“ in Düsseldorf – Kunst in NRW 10/24
Noch gemalt
„Zwischen Pixel und Pigment“ in Herford und Bielefeld – Kunst in NRW 09/24
Farbe an Farbe
Otto Freundlich und Martin Noël in Bergisch Gladbach – Kunst in NRW 06/24
Am Anfang der Abstraktion
Hilma af Klint und Wassily Kandinsky in Düsseldorf – Kunst in NRW 05/24
Das eigene Land
„Revisions“ im Rautenstrauch-Joest-Museum Köln – Kunst in NRW 03/24
Ritt durch die Jahrhunderte
Die Neupräsentation im Kunstpalast in Düsseldorf – Kunst in NRW 02/24
Ende eines Jahrhunderts
George Minne und Léon Spilliaert in Neuss – Kunst in NRW 01/24
Puls des Lebens
Chaïm Soutine im K20 in Düsseldorf – Kunst in NRW 12/23
Ganz leicht
Christiane Löhr im Bahnhof Rolandseck – Kunst in NRW 11/23
Die stille Anwesenheit der Dinge
Cornelius Völker im Kunstpalast Düsseldorf – Kunst in NRW 10/23
Aus anderer Perspektive
Szenenwechsel der Sammlung im K21 in Düsseldorf – Kunst in NRW 09/23