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Henriette Reker und Meral Sahin bei der Eröffnung
Fotos: Mario Müller

Zusammen erinnern

07. Juni 2016

Zum dritten Mal Birlikte: Tausende Besucher zum Feiern und Erinnern in der Keupstraße – Spezial 06/16

„Birlikte ist kein Straßenfest“, sagt Meral Sahin in ihrer Eröffnungsrede, „Birlikte ist ein Kunst- und Kulturfestival!“ Die Vorsitzende der „Interessengemeinschaft Keupstraße“ verweist auf die besondere Bedeutung der Veranstaltung in Mülheim. Birlikte war nie nur ein Straßenfest, das war und ist schon an den vielen politischen Diskussionen zu erkennen, die hier stattfinden. In diesem Jahr behandelt z.B. die erste Diskussion die Folgen des NSU-Prozesses. Der Nagelbombenanschlag in der Keupstraße im Jahr 2004 war nicht nur ein grausames Verbrechen. Ein Skandal sind die folgenden Polizeiermittlungen, die gegen alle Opfer durchgeführt wurden und die dabei für falsche Verdächtigungen und Stigmatisierungen sorgten. Das Birlikte-Fest ist nach der Enttarnung des NSU-Trios – 7 Jahre nach dem Anschlag – der Versuch, eine ganze Community zu rehabilitieren. Es sollte auch gegen das falsche Bild des kriminellen türkischen Netzwerks ankämpfen, das durch die Ermittlungsbehörden erst geschaffen wurde.

Trommlergruppe in der Keupstraße

Ayfer Şentürk Demir wurde selbst Opfer des Anschlags und spielt mittlerweile im Theaterstück „Die Lücke“ mit. Eindringlich erzählt sie von den Auswirkungen auf das Leben der Anwohner, die letztlich selbst nicht mehr über die Anschuldigungen gesprochen hätten. Es ist diese Stigmatisierung einer ganzen Nachbarschaft, aus der Birlikte als ein symbolischer Treffpunkt für alle hervorgeht, ein Symbol des Miteinander und des Aufeinanderzugehens. Dieser Hintergrund erklärt die bewegte Reaktion von Ayfer Şentürk Demir, aber auch von Meral Sahin über die vielen Besucher, die auch dieses Jahr wieder in die Keupstraße kommen – auch wenn es ein paar weniger sind als im vergangenen Jahr.

Die Treffpunkte der Kulturen sind auch in diesem Jahr wieder zahlreich und erstrecken sich auch auf die Innen- und Hinterhöfe des Schanzenviertels. Die unzähligen Bühnen werden von Musikern bespielt, von Schülern, Geflüchteten, Tänzern, Trommlern, Rappern. Allein die Vielzahl der organisierten Auftritte ist beeindruckend. Diese bunte Vielfalt und die Gastfreundschaft wird auch für die meisten der Besucher in Erinnerung bleiben. Daneben steht natürlich die Erinnerung an die Taten des NSU im Mittelpunkt. Fotografien des zerstörten Frisörsalons hängen an dessen Fassade in der Keupstraße, während dahinter, im Innenhof, Lesungen stattfinden. Die Informationen über den NSU-Prozess, der noch immer läuft, soll über die Bestrafung der wahren Täter aufklären.

In der ersten Diskussionsrunde ist auch eine Insiderin zu hören: Katharina König sitzt im NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen. Von dort berichtet sie über die schwierige Aufgabe, gegen die rechte Stimmung anzugehen. Die AfD sieht sie als den „parlamentarischen Arm der Neo-Nazis“. Diese zu einer Gedenkfeier für Opfer dieser Neo-Nazis einzuladen, hält sie für den völlig falschen Weg – wofür sie lauten Applaus bekommt. Es ist die eine Sichtweise auf den umstrittenen Gast, AfD-Mitglied Konrad Adam, und sie ist bei diesem Birlikte-Fest weit verbreitet. Bereits vor diesem Sonntag gibt es unter den Veranstaltern und auch außerhalb laute Diskussionen. Die einen sind für den Dialog, wie die IG Keupstraße, später auch Arsch Huh – der WDR und das Schauspiel Köln, von denen die Einladung ausging, sowieso. Gegen die Veranstaltung sprechen sich neben der Antifa besonders klar die Grünen aus, aber auch das Bündnis „Keupstraße ist überall“, das zu den Unterstützern von Birlikte zählt. Vor dem Fest und auch währenddessen, auf Flyern, wird offen zu Protest aufgerufen, um die Veranstaltung zu stören.

Diskussionsrunde mit NSU-Opfer Ayfer Şentürk Demir (rechts)

Meral Sahin dagegen ist eine starke Fürsprecherin des Dialogs. Schon bei der Eröffnungsrede macht sie das deutlich, was sie später auf der gestürmten Bühne im Depot wiederholt: Sie wollte die Chance nutzen und AfD-Mitglied Konrad Adam persönlich fragen, warum „sie im Land nicht ausgehalten“ werde. Eine solche Bühne wollten andere dem Rechtskonservativen nicht bieten, zumindest nicht bei Birlikte. Die Erstürmung der Bühne war letztlich eine Aktion mit Ansage, und der Schaden für alle (außer der AfD) vorherzusehen.

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit Rechtsextremismus wurde auch Katharina König gestellt. Ihre Antwort: „Biodeutsche“ Aktive der Antifaschisten und der Antirassisten müssten und würden sich öffnen und auf die migrantische Community zugehen. Breite Bündnisse seien heute notwendig. Davon war bei der geplanten Diskussion mit Konrad Adam leider nicht viel zu spüren. Es bleibt zu hoffen, dass die Veranstalter und Unterstützer von Birlikte ihre Konflikte ausräumen. Und dass die Besucher ihre positiven Eindrücke vom Fest behalten, und nicht die Bilder der einen gestörten Veranstaltung aus den Medien.

Lesen Sie hier unseren Kommentar zur abgesagten Podiumsdiskussion im Depot.

Mario Müller

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