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Coming-of-Age Comics

30. Juli 2015

Realistisch erzählte Gefühlswirren in Comicwelten – ComicKultur 08/15

Passend zur Jahreszeit veröffentlicht der Berliner Verlag Reprodukt die Coming-of-Age- Geschichte „Ein Sommer am See“ von den kanadischen Geschwistern Jillian und Mariko Tamaki. Rose fährt seit Jahren mit ihren Eltern in dasselbe Ferienhaus an einem See. Dort trifft sie ebenso regelmäßig die etwas jüngere Windy. Beide sind an der Schwelle zum Teenager und beobachten ihre Umwelt und vor allem die Dorfjugend mit interessierten Augen. Zugleich muss Rose mit einem schwelenden Konflikt ihrer Eltern zurechtkommen. Horrorfilme und eine erste Schwärmerei für einen Jungen aus dem Dorf lenken sie ab, der Abschied von der Kindheit wird bitter-süß. Die Geschwister Tamaki fangen in ihren blaustichigen Zeichnungen die wechselhaften Stimmungen der Protagonistin rührend ein und erzählen mit scheinbar beiläufigen Gesten von den großen Gefühlen der Pubertät. Das hat ihnen schon zahlreiche Preise eingebracht, zuletzt den Eisner Award fürs Best Graphic Album (Reprodukt).

Julie Birmant und Clément Oubrerie haben mit ihrer vierbändigen Biografie „Pablo“ die Perspektive der selbstbewußten Fernande Olivier, der ersten großen Liebe von Picasso, eingenommen. Die beiden waren von 1905 bis 1912 ein Paar. Picasso war im Jahr 1900 als unbekannter 19-Jähriger nach Paris gekommen, und auch ein paar Jahre später war er noch weit entfernt von seinem heutigen Ruhm. Die Blaue und die Rosa Periode machten ihn bekannter, bevor er mit „Les Demoiselles d’Avignon“ 1907 den Kubismus begründete und polarisierte, aber auch immer mehr Anerkennung fand. Die Reihe erzählt in vibrierenden Farbzeichnungen vom pulsierenden Leben auf dem Montmartre der Jahrhundertwende und versucht sich mit mal derbem, mal zärtlichem Ton an einer persönlichen Perspektive. Der vierte und letzte Band „Picasso“ endet mit dem legendären Bankett für Henri Rousseau im Jahr 1908 und einem surrealem Ausblick in die Zukunft. Fernande wäre hingegen fast in Vergessenheit geraten, wollte Picasso doch verhindern, dass sie allzu viel vom gemeinsamen Leben erzählt (Reprodukt).

In Deutschland wird immer schon neidisch auf das Nachbarland Frankreich geblickt, wo man an die deutschen Verkaufszahlen in der Regel eine Null anhängen kann und das Medium viel selbstverständlicher Platz hat neben Romanen, Filmen und anderen Kulturprodukten. Mit dem Boom der Graphic Novels hat sich zumindest an der Reputation etwas geändert. Die fehlende Null am Ende versucht der Verlag Carlsen nun mit seinen Graphic Novel Paperbacks einzufangen. Gerade Graphic Novels sind oft sehr kostspielig in der Anschaffung. Als Paperback kosten sie ungefähr die Hälfte und sind damit sogar günstiger als das jeweilige E-Book. Qualitätsverfechter müssen nicht das Ende des Abendlandes befürchten: Zum einen ist die Papierqualität ordentlich, d.h. die vorhergehende Seite schimmert nicht durch, was wesentlich wichtiger ist als bei herkömmlicher Belletristik ohne Bilder. Und zum anderen gibt es ja vergleichbar dem gebundenen Buch zuerst die Hardcoverausgabe, bevor später die Taschenbuchausgabe folgt. Berührende Coming-of-Age-Geschichten wie Craig Thomas‘ „Blankets“ oder David Smalls „Stiche“ sind zwar im Format leicht verkleinert, haben aber die Chance auf eine weitere Verbreitung. Und man hat auch im Regal mehr Platz für neue Comics. Bei Carlsen sind als Graphic Novel Paperbacks bislang Titeln von u.a. Alison Bechdel, Joann Sfar, Shaun Tan, Isabel Kreitz oder Flix erschienen.

CHRISTIAN MEYER

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