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Schlachtvieh aktiv, Schlachtvieh passiv
Foto: Christof Wolff

Der Müllhaufen menschlicher Herzlosigkeit

29. Oktober 2015

„Unter Tieren – Ein Menschenversuch“ des Analogtheaters – Auftritt 11/15

Es ist ein göttliches Gebot: „Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan; und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf der Erde regen.“ Dass der Mensch die Krönung der Schöpfung sei, setzt sich dann in der abendländischen Philosophie fort. Metaphysik ist nichts anderes als ein Monotheismus im Denken:„Immer, immer, immer muss man / Immer sind wir auf der Suche / nach dem ersten Prinzip / der Dualismus / die Idee / das Sein / das Selbst / die Identität“, schmettert das Ensemble (Dominik Dworak, Dorothea Förtsch, Lisa Heck, Jana Jungbluth, Asim Odobašić, Ingmar Skrinjar, Tomasso Tessitori) dem Publikum in seinem Chorgesang entgegen. Mit präziser Formgewalt gegen die formgebende und hierarchisierende Gewalt von Denken und Sprache anzuspielen, zeigt gleich zu Beginn von „Unter Tieren – Ein Menschenversuch“, wohin der Hase in der neuesten Produktion vom Analogtheater läuft. Formen des Herrschaftsdenkens sind Ursache und Grund für die gnadenlose industrielle Ausbeutung von Tieren durch Menschen. Deshalb: Ab damit auf den Müllhaufen menschlicher Herzlosigkeit. Sympathischer ist Regisseur Daniel Schüßler hingegen das indische Konzept des Avatars. Avatar ist Sanskrit und bedeutet das Herabsteigen einer Gottheit in irdische Sphären. Mit diesem Abstieg wird eine herrschaftsfreie und mimetische Auseinandersetzung mit den Kreaturen möglich.

Wie beispielsweise tierische Bewegungen, die irgendwo zwischen anmutig, balletthaft und tierisch komisch liegen. Mimesis geht aber auch brachial. Denn wo endet tierisches Leben in den meisten aller Fälle? Richtig, im Schlachthof! Es ist die eindrucksvollste unter vielen eindrucksvollen Bühnensituationen, die den Zuschauer in diesem Fall an den Rand des Erträglichen führt. Da wird Ingmar Skrinjar in eine Lache aus Blut geworfen und Jana Jungbluth, die wenige Augenblicke zuvor noch unter einer Tiermaske (Ausstattung: Eva Sauermann) einen zärtlichen Hasen dargestellt hatte, verwandelt sich zur Metzgerin – und zieht dem Kollegen die Haut ab. Dass die Haut, eine hautenge Leggins ist, macht den Vorgang entsetzlich real. Panik und rohe Gewalt herrschen auf der Bühne und bilden nur ab, was Alltag ist. Tagtäglich, trägt Lisa Heck vor, verenden Tiere in Schlachthöfen: Gestürzte Rinder werden von anderen zu Tode getrampelt; Bolzenschussgeräte funktionieren nicht, wie sie sollen. Sie spricht vom Zeitdruck der ausgebeuteten Arbeiter und vom kalten Zynismus der Vorgesetzten; aber auch davon, dass es niemanden wirklich empört, weil diese Massaker im Verborgenen stattfinden. Akustisch – die Musik wurde mit der Düsseldorfer Band „weltAusstellung“ erarbeitet – wird die Schlachthofperformance von einem harten, hausgemachten Industrial-Sound – als Instrumente dienten Fleischwolf, Fleischhaken und Vogelkäfige – untermalt. Man bekommt eine eindringliche Vorstellung, wie Fleischsäge und Knochenmühle sich auf dem Trommelfell anfühlen.

Es gibt aber auch herzzerreißend schöne Momente auf der Bühne, wie die Tonbandeinspieler von Menschen, die Tiere lieben oder von Tieren geliebt werden. Da ist der LKW-Fahrer, der ein paar Esel vor dem Schlachter gerettet hat und sie auf einem Stück Land hält. Wenn man ihm zuhört, glaubt man sofort, dass Esel die besseren Menschen sind. Oder die blinde Frau, die über ihren langjährigen Führ-Hund spricht, der ihr aufs Wort gehorchte, ihr Leben ermöglichte und sie obendrein noch mit einer Fülle von Liebe überschüttete, „wie es menschliche Liebe nicht kann“.

In der „performativen Stückentwicklung“, wie Schüßler das Projekt nennt, lotet das Ensemble auf intelligente, schlaue und vielfältige Weise die Trennlinien zwischen Menschen und Tieren aus. Am Ende steht ein dokumentarisch-sinnlicher Trip, der an die Schnittstelle zwischen Theater, Performance, Tanz und Musik führt. „Unter Tieren – Ein Menschenversuch“ ist Off-Szene im besten Sinne. Für Vegetarier und Fleischesser gleichermaßen empfehlenswert.

„Unter Tieren – Ein Menschenversuch“ | R: Daniel Schüßler | 4.3. - 8.3.16 (WA) | Studiobühne Köln | 0221 470 4513

Bernhard Krebs

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