Ein ungleiches Paar springt mit einem Tusch auf die Bühne. Ein großer Mann mit Anzug und Glatze und eine Frau, die die Kleidung vergangener Zeiten und eine übergroße Brille trägt. „Willkommen, bienvenue, welcome …“ aus dem 1966 am Broadway uraufgeführten Musical „Cabaret“ wird angestimmt, nur wird man nicht im Cabaret willkommen geheißen, sondern: „Im KGB, au KGB, to KGB“. Den KGB gibt es doch seit zwanzig Jahren nicht mehr. Richtig, denn an diesem Abend geht es zum 197. Mal um Kunst gegen Bares. Durch den Abend begleiten Gerd Buurmann und Hildegard Scholten, die jeden Montag Abend Künstler, Künstlerinnen und das Kölner Publikum auf oder vor die offene Bühne einladen. Und dabei sind den Formen künstlerischen Ausdrucks keine Grenzen gesetzt.
Die Moderatoren wissen vorher nicht, welche Künstler vorne an der Kasse angemeldet haben. Heute abend gehen neun Hände in die Luft. Da wären etwa die der Musiker Chris Row und Stefan Goldfeld, Row interpretiert „Run“ von Snow Patrol, Goldfeld hat seine selbst komponierten Songs mitgebracht, wofür ihn das Publikum am späteren Abend mit dem dritten Platz belohnt. Der Kabarettist Michael Vetter, der sich selbst „den rheinischen Michel“ nennt, macht ein paar eher schlechte Witze über die FDP und erntet nur müden Applaus für „Christian Wulff sieht in letzter Zeit ziemlich ausgemerkelt aus. Ein Highlight des Abends ist Petra Pansen, die ein Stand-Up-Programm vorstellt „In vier Schritten reif für die offene Bühne“ und mit viel Selbstironie gepaart mit trockenem Humor das Publikum begeistert. Ihre Gewinnerinnen-Zugabe, einer sehr melodischen Interpretation des Bushido-Textes „Mit dem Schwanz in der Hand“ hat das Programm der 23jährigen eine Tendenz zum feministischen Kabarett, die sehr erfreulich ist.
Es kommen aber nicht nur Newcomer zur Kunst gegen Bares. Heinz Gröning – besser bekannt als der unglaubliche Heinz in der WDR-Comedy Funkhaus – gibt sich die Ehre und probiert sein in Entwicklung befindliches Programm direkt am Publikum aus. Weil das Publikum sich aber von Fame nicht beeindrucken lässt, gewinnen trotzdem andere. Den zweiten Preis zum Beispiel bekommt Stimmwunder Thomas Müller für eine wunderbare Analyse von Iphone-Nutzerverhalten.
Heute Abend war noch vergleichbar wenig Bandbreite zu sehen, sagt Gerd Buurmann im Anschluss. Er würde sich freuen, wenn mehr Schauspieler kämen, um Ihre Monologe zu präsentieren und zu proben. Die Rückmeldung vom Publikum gibt es schließlich sofort. Und auch finanziell kann sich der Auftritt lohnen. „Es ist keine Seltenheit, dass die Künstler hier mehr verdienen, als an einem Abendarrangement in einem der freien Theater“ so Buurmann. Da aber kein Schauspieler vor Ort ist, springt Buurmann selbst für die Theaterkunst ein und gibt ein Monolog-Medley aus Shakespeares Othello, Macbeth und Richard, dem III., bei dem auf einmal nicht mehr der charmant-witzige Moderator sondern der Schauspieler Buurmann auf der Bühne ist. In diesem Monat spielt er in „Macbeth“ im Metropol Theater die Hauptrolle. Auch Mitmoderatorin Hildegard Scholten improvisiert selbst eine Nummer auf der Bühne.
Und so vielseitig wie die Moderatoren ist auch Kunst gegen Bares. Sein Vorbild – erzählt er gerne – ist die Muppet Show mit ihrem „unendlichen Glauben an das Theater und die den Figuren innewohnende Anarchie“.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Blut, Morast und Hühnerfett
„Schlammland Gewalt“ im Artheater – Theater am Rhein 09/22
Macht und Geilheit
„Schlammland Gewalt“ am Artheater und im Studio für Darstellende Künste – Prolog 08/22
In der Höhle verkriechen
Warme Klänge in kalten Zeiten – Unterhaltungsmusik 01/19
Jesus spielt Trompete
Die Mooving Krippenspielers ziehen übers Land – Improvisierte Musik in NRW 12/18
Die wunderbar depressive Welt der Stefanie Sargnagel
Die Autorin von „Statusmeldungen“ im Artheater – Literatur 10/17
Kollektivgefühle und quietschendes Publikum
Wenn die Bühne zum Experiment wird: „Kunst gegen Bares“ im Artheater – Bühne 05/17
Land der Angst und Willkür
Gezi Soul: Podiumsdiskussion zur Türkei – Spezial 12/16
Für Meinungsfreiheit und Vielfalt
Das Kulturfestival Gezi Soul in Ehrenfeld verbindet Köln und Istanbul
Oper unter Strumpfmaske
Wagners „Meistersinger“ im artheater – Theater am Rhein 01/14
Der Pezziball des Dr. Seltsam
Port in Air zeigt „Hamlet“ im Artheater – Theater am Rhein 12/12
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Menschliche Eitelkeit
„Ein Sommernachtstraum“ in Köln – Theater am Rhein 06/24