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Thomas Hupfer in „Schlammland Gewalt“
Foto: André Lehnert

Blut, Morast und Hühnerfett

15. September 2022

„Schlammland Gewalt“ im Artheater – Theater am Rhein 09/22

Wuchtig erschlägt die Last des Festgemeinschaftskörpers jedwede Andersartigkeit innerhalb einer Dorfgesellschaft, die sich (Trink)Traditionen, Stammtisch-Hierarchien und der Akribie des Brathändelvertilgens verschrieben hat. Der Platzhirsch thront unangefochten im Wirtshaus, seine Minister achten penibel auf die Einhaltung der Gebote vor und hinter den Pforten des beschränkten Terrains. Das Spielfeld ist auf den Millimeter kartografiert, vom ersten Bläser der Musikkappelle bis zu den Erben des Herrschers eigener Gnaden hält ein jeder seine Position inne. In einer brachialen Soloperformance erzwingt Thomas Hupfer von den scheinbar fernen Bergen eine Lawine, die sich im Tal mit Neid, Gier, Niedertracht und Hühnerfett zur Sturzflut vermengt. Die Katastrophe begräbt schließlich alles Zetern, Deklamieren, Diffamieren sowie jegliche Völlerei unter braunem Schlamm.

In lauten 70 Minuten changiert der Protagonist auf einer mit Bierkisten verzierten Bühne in multiplen Rollen zwischen amüsierender Entlarvung (H. v. Kleists „Der zerbrochene Krug“), traurig anmutender Verlorenheit (G. Büchners „Woyzeck“), Wahn (K. Kinski) und beschwingten Freistaat-Hymnen in Erinnerung an das legendäre Musikkollektiv Biermösl Blosn. Den hochkomplexen Text aus der Feder von Bachmann-Preisträger Ferdinand Schmalz transferiert Hupfer mal heimlich anschleichend, mal frontal auf den Plexus Solaris zielend ins sprachlose Publikum.

Der Mensch, das ist nicht zu übersehen, ist sich keiner Scham (die freilich nur andere begehen) zu schade. Im verdichteten Matsch des Spießbürgertums kriechend, der versteckten Geilheit nach saftigem Fleisch aus dem Nachbarshause fröhnend und schließlich dem Narzissmus im Angesicht des erhöhten Blutzuckerspiegels erliegend, bahnt er sich als schlingende Muräne aus geifernden Säften, gemahlenen Knochen, getrennten Sehnen und pürierten Organen seinen Weg durch ein verstorbenes Märchen, das sich Menschheit nennt. Hier sind alle Konturen verzerrt, halten den Moment des Lippen benetzenden Malzes oder das raubtierartige Schnappen nach dem mit süßem Paprika und frischen Thymian massierten Ofen-Vogel fest, dass es vor Heimatgefühlen nur so trieft.

Nicht so episch wie die Augenzeugenberichte aus Sodom und Gomorra und dennoch ebenso bereichernd in seiner pädagogischen Lehre erzählt – nein – beschreit „Schlammland Gewalt“ in Hupfers Monologen sowie einem grandiosem Terzett mit sich selbst den ordnenden Fausthieb der Natur auf ein verirrtes Glied, das sich anatomisch im Zentrum des Kosmos anstatt dezent agierend am Rande verordnet. Fast keiner überlebt hier. Für die wenigen braven Leute bleiben noch ein paar Stullen mit Blutwurst übrig. Der Schärfe und Strahlkraft des auf der Theke bereitliegenden Präzisionsinstruments ist kaum zu entkommen. Selten waren Schlick und Moder so reinigend, ein Stück sozialer Realsatire auf das Ungleichgewicht zwischen nährender Erde und süchtig fressender Bewohnerschaft so schwindel- bis übelkeitserregend. Zum Nachtisch bitte nochmal die gleiche Portion!         

Thomas Dahl

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