„Mister Wonderful“ von Daniel Clowes ist von einnehmender Schönheit: Das fängt bei den großflächigen Zeichnungen an und endet längst nicht mit dem außergewöhnlichen Querformat: „Mister Wonderful“ ist auch ein erzählerischer Coup! Ein Tag im Leben des mittelalten Losers Marshall, den Freunde mit Natalie verkuppeln wollen. Wir sehen das Blind Date und lesen den Dialog, doch der wird immer wieder von Marshalls selbstzweifelnden Gedanken überlagert und somit unleserlich. Zwischen Posing und Aufrichtigkeit hin- und hergerissen, gerät der Abend zum Desaster. Aber wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten … Meisterlich (Reprodukt).
Bryan Talbot erzählt zusammen mit seiner Frau Mary M. Talbot und der Zeichnerin Kate Charlesworth in „Votes for Women“ die Geschichte der Sufragetten im England zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Anhand des fiktiven Dienstmädchens Sally begleiten wir die Entwicklung der zunehmend militanten Frauenbewegung, die schließlich auch für Bombenanschläge verantwortlich ist. Dabei kommt vor allem das Abbild der restriktiven Gesellschaft jener Zeit nicht zu kurz und erklärt die Vehemenz, mit der die Bewegung auftritt. Passend: Im Februar kommt ein Spielfilm zum Thema ins Kino (Egmont). Ulla Loge hat die Wiedervereinigung mit 10 Jahren erlebt. Entsprechend ist ihre Geschichte „Da wird sich nie was ändern“ über die letzten Tage vor der Maueröffnung aus atmosphärischen Momentaufnahmen zusammengesetzt: Die Wege ihrer ganz unterschiedlichen Protagonisten in einer Kleinstadt kreuzen sich lose oder laufen Parallel, aber alle sind verunsichert von den Ereignissen. Loge zeichnet mit dynamischem und wildem Strich eine unsichere Zeit des Umbruchs, des Wegbruchs (Jaja Verlag). Schon vor etlichen Jahren ist die Reihe „Unter dem Hakenkreuz“ gestartet und das auf zehn Alben angelegte Projekt von Zeichner Jean-Michel Beuriot und Autor Philippe Richelle ist mit „Einer muss es tun“ nun tatsächlich schon beim siebten Band angelangt. Die Liebesgeschichte zwischen der Jüdin Katharina und dem Wehrmachtoffizier Martin ist aus dem Blickfeld gerutscht, dafür wird Martins innerer Widerstand langsam immer entschlossener und im Juni '44 wird er in ein Attentat involviert. Beuriot und Richelle bleiben trotzdem ihrer Alltagsperspektive ohne Schwarzweiss-Zeichnung treu und beleuchten die vielen Nuancen zwischen bedingungslosem Widerstandskämpfer und begeistertem Nazi (Schreiber & Leser).
Die groß angelegte „Corto Maltese“-Reihe von Schreiber & Leser geht mit „Im Zeichen des Steinbocks“ in die zweite Runde. Es ist das frühe 20. Jahrhundert, und unser charmanter Seemann ist in der Karibik angekommen und rasselt in ein Abenteuer zwischen Voodoo, Liebe und geheimnisvollem Schatz. Hugo Pratt wandelt mit seiner Geschichte aus den späten 60er Jahren tollkühn zwischen Gewalt und Humor, zwischen akribischer Zeichnung und grober Stilisierung. Die s/w-Ausgabe ist für die Puristen, die nachträglich kolorierte Fassung ist aber ebenfalls hübsch anzuschauen (Schreiber & Leser). Ja, das gibt es tatsächlich auch – Comics für Kinder: „Q-R-T – Der neue Nachbar“ und sein wandlungsfähiges Haustier Flummi landen auf der Erde. Q-R-T ist ein ewiges Kind, und er gehört dem Club der Außerirdischen an, die die Erdbewohner erforschen. Nun löst er seinen Vorgänger in einem Plattenbau in Berlin ab und beginnt mit seinen Forschungen. Ferdinand Lutz lässt den Außerirdischen freudvoll und kindgerecht auf den irdischen Alltag prallen (Reprodukt).
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