Im Falle zweier Neuerscheinungen ist der Realitätsbezug ein tragischer Zufall: Comic-Star Joann Sfar („Die Katze des Rabbiners“) hatte sich schwer mit Corona infiziert und ist gerade noch mal mit dem Leben davongekommen. Ein Anlass für ihn, in „Die Synagoge“ mit 50 Jahren eher sprunghaft als chronologisch auf sein eigenes Leben zurückzublicken. Sfar erzählt in seinem sehr eigenen, flirrenden Zeichenstil von seinem Krankenbett aus von seiner Kindheit und Jugend als säkularer Jude eines religiösen Vaters in Marseille. Letzterer ist ein mitunter zwielichtig agierender Anwalt, der einst antikolonialer Unterstützer der arabischen Befreiungsbewegungen war. Szenarien voller Widersprüche bis hin zu einem befreundeten Skinhead, den Sfar im Selbstverteidigungs-Verein, dem er vor dem Hintergrund antijüdischer Anschläge als Beschützer der örtlichen Synagoge beitritt, kennenlernt (avant-verlag).
Barbara Yelin wiederum blickt auf das Leben der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel zurück. Der dokumentarische Comic widmet sich der in Den Haag geborenen und mit vier Jahren das KZ Bergen-Belsen überlebenden Frau, die nach dem Krieg als Waise nach Israel kam. Neben dem frühkindlichen Trauma widmet sich die Biografie aber vor allem den folgenden Traumata – darunter der Missbrauch als Adoptivkind, die Außenseiterrolle als Waise und als Überlebende der Shoah in Israel und nicht zuletzt die Übertragung der Traumata an ihre Töchter. „Emmie Arbel. Die Farbe der Erinnerung“ ist ein auch visuell beeindruckender Blick auf die zu selten beleuchteten individuellen Folgen der Shoah (Reprodukt).
Der Architekt und Comic-Debütant Louis Paillard hat Michel Houllebecqs Romans „Karte und Gebiet“ aus dem Jahr 2010 als bemerkenswert dichte Graphic Novel adaptiert: Als der Maler Jed Martin an seinem neuen Gemälde „Damien Hirst und Jeff Koons teilen den Kunstmarkt unter sich auf“ zu verzweifeln droht, entfaltet sich ein biografisches Netz als Gesellschaftsroman, in dem auch Houllebecq als Romanfigur auftaucht und mit dessen Ermordung in einen Krimi mündet, der schließlich in die Zukunft verweist. Die irrwitzige Handlungsstruktur bündelt Paillard mit facetten- und zitatreichen Zeichenstilen in Farbe und Schwarzweiß zu einem beeindruckenden Panoptikum einer übersteuerten Gesellschaft (Dumont).
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