Seit seiner Gründung 2009 hat sich das Kölner Ensemble Garage zu einer nun neunköpfigen Gruppe mit einem eigenen Charakter entwickelt. Dabei fordern sie ihr Publikum und sich selbst immer wieder neu heraus, stellen sich in einen Dialog mit der technischen und medialen Realität unserer Zeit und behalten dabei ein kritisches Auge und Ohr. Am 23. November startet eine neue Konzertreihe des Ensembles in Köln, die durch die Ensembleförderung des Landes NRW ermöglicht wird. Das erste der drei bis vier Konzerte pro Jahr trägt den Titel „intim“.
choices: Akiko, wie organisiert sich das Ensemble?
Sabine Akiko Ahrendt: Das ist gerade etwas im Umbruch. Bisher hatte Brigitta Muntendorf hauptsächlich die künstlerische Leitung, inzwischen gestalten mehr und mehr wir alle das Programm mit. Es wird immer basisdemokratischer. Für die neue Konzertreihe ab November 2019 machen wir es so, dass immer zwei Leute aus dem Ensemble verantwortlich sind für ein Konzert und die komplette inhaltliche und organisatorische Planung übernehmen. Wirüberlegen uns ein Konzept für den Abend, wählen die Musik aus, die gespielt wird und suchen den Raum.
Was wird der erste Raum für das Konzert „intim“ sein?
Das erste Konzert wird am 23.11. in der Severinstraße 194 stattfinden und zwar in einem leer stehenden Wohnhaus, das in den nächsten Jahren abgerissen wird. Die Möglichkeit, ein leer stehendes Haus zwischenzeitig für künstlerische Zwecke zu nutzen, sei es für Proben, Aufführungen, Installationen, ist eine supergute Sache. Man kennt das Haus vom Sehen, direkt an der Haltestelle Severinsbrücke. Unten ist eine Karateschule und da drüber sind fünf Wohnungen, die aber alle völlig leer sind. Der Plan ist, dem Konzert einen installativen Charakter zu verleihen. Das Publikum kann sich frei durch die Räume bewegen, in jedem Zimmer ist ein*e Musiker*in und man kann sich als Zuschauer*in den Raum aussuchen, den man betritt. Es kann dann auch schon mal sein, dass nur eine Person da ist und die Tür zumacht und man nur für eine Person spielt. In den Zimmern sind dann Solo- oder Duo-Spots, teilweise mit improvisatorischen Elementen, damit wir auch freier auf die Situation mit dem Publikum reagieren können. Es könnte sich so anfühlen, als würde man eine WG besuchen, in der gerade ganz viel Musik gespielt wird. Es soll auch gekocht und ausgeschenkt werden.
Ist das eure erste Konzertreihe?
Ja, das ist für uns was Neues, eine Konzertreihe zu haben. Wir haben bisher viel auf Festivals außerhalb von Köln gespielt und tun das auch weiterhin. Jetzt haben wir eine Förderung vom Ministerium NRW speziell für die Konzertreihe in Köln bekommen und freuen uns etwas Lokales aufzuziehen.
Wie erarbeitet ihr Stücke?
Meist haben wir komponierte Stücke gespielt. Die übt jeder für sich daheim und dann treffen wir uns gemeinsam für die Proben, mal mit, immeröfterauch ohne Dirigent und dann wird das musikalisch erarbeitet. Es gibt aber auch Formate, die eher ein Work in Progress sind. Bei Brigitta Muntendorfs Stück „iScreen, YouScream!“ hat sie uns ein Musiktheaterstück sozusagen auf den Leib geschrieben. Da gab es teilweise Noten, sie hat aber auch vorab Interviews mit uns geführt und anhand dessen die Musik und die Szenen geschrieben. Es gab auch viele Videoprojektionen, Live-Video. Thematisch ging es unter anderem um Social Media, um die Einsamkeit trotz oder gerade wegen unendlich vieler online Freundschaften und darum, sich auf dem Screen oder für den Screen zu präsentieren und wie das dann aussehen und klingen kann. Es wäre schön, im Format mehr in diese Richtung zu gehen, dass ein Abend einen inhaltlichen Zusammenhang hat und nicht die Aneinanderreihung von vielen kleinen Stücken ist, wie es oft in der Neuen Musik der Fall ist. Ob hinterher Musiktheater, Konzert, Performance oder Installation drauf steht, ist nicht das Entscheidende, wir sind da genrefrei.
Wollt ihr das Publikum bewusst herausfordern?
Auf jeden Fall herausfordern, aber auch einbinden – wenn man zum Beispiel in dem Haus im November frei entscheiden kann, wo und von wo aus man die Musik erlebt, gestaltet man das Konzert selbst mit, ohne dass es den typischen Mitmachcharakter hat. D.h. die Aufführungssituation ist ungewohnt, aber auch inhaltlich fordern wir unser Publikum heraus. Wir konfrontieren es mit Phänomenen, die gesellschaftlich relevant und aktuell sind, z.B. Internet, Social Media, Big Data, Künstliche Intelligenz, um nur einige zu nennen.
Habt ihr euch als Performende schon einmal von den Stücken herausgefordert gefühlt?
Für das Projekt „iScreen YouScream!“ hat sich Brigitta Muntendorf ja vorab länger mit jeder von uns unterhalten und das dann teilweise auch ins Stück eingebaut. Zum Beispiel sind unser Posaunist und Saxophonist gut befreundet und im Stück hat der eine als Teil der Performance gesagt: „Ich spiele das jetzt für dich.“ Es wurde aber auch viel verfremdet und am Ende waren unsere Figuren nicht eins zu eins wir, sondern Bühnenfiguren.
Das erfordert von den Mitgliedern eine ganz schöne Offenheit!
Ja, auf jeden Fall! Das ist das spannende an Bühnenfiguren: Ob man will oder nicht, muss man ganz viel von sich hineingeben, aber es kann trotzdem fiktiv sein, und das Publikum weiß nicht, was fiktiv ist und was nicht. Aber das spielt keine Rolle, solange es im Kontext funktioniert.
Hat das Ensemble Garage eine Signatur?
Sicherlich der Einbezug von Multimedia, aber auch dass die meisten von uns gerne performen, auch mal ohne Instrument auf der Bühne stehen. Wenn wir aber Medien einbeziehen, geht es auch darum, das zu hinterfragen. Es soll ja künstlerisch Sinn ergeben, warum ein weiteres Medium neben unseren gelernten Instrumenten mit einbezogen wird. Dass man also z.B. auch das Medium selbst reflektiert, seine Geschichte, seine Risiken, aber auch seinen Reiz und die Sinnlichkeit. Oder eben der Verzicht kultiviert wird und wir nur mit unseren Körpern und Instrumenten auf der Bühne stehen. Damit kann man auch schon ganz schön viel machen und es hat auch seinen Reiz, sich zu fokussieren, gerade in der heutigen Zeit, wo wirüberall von Medien und Apparaten umgeben sind und darüber manchmal unsere eigenen Körper vergessen.
Am 3. November spielt ihr bei Frau Musica Nova im Deutschlandfunk.
Die Reihe wurde in den 90ern u.a. von Gisela Gronemeyer und Carola Bauckholt initiiert und findet einmal im Jahr, meist im Deutschlandfunk statt. Es ging darum, Komponistinnen der Neuen Musik sichtbarer zu machen, und das war damals definitiv notwendig! Im Jahr 2013 hat Brigitta Muntendorf die Organisation übernommen. Seitdem ist Garage auch dabei. In den 90ern hatte das Anliegen einen ganz besonderen Bedarf, aber es macht auch weiterhin Sinn, solche Formate zu haben.
Ihr habt die dreijährige Ensembleförderung des Landes NRW erhalten, was hat sich seit der Förderung für euch verändert?
Die Förderung startet zwar erst im Winter 2019, aber für uns hat sich tatsächlich schon einiges dadurch geändert, da wir nun die Möglichkeit haben, Konzerte mit einer gewissen Finanzierungssicherheit zu planen. Es ist eine großartige Sache und wir sind uns bewusst, dass da auch sehr viel Glück dazu gehört. Es gibt viele großartige Ensembles in NRW, die diese finanzielle Unterstützung verdienen. Wir waren kürzlich als gesamtes Ensemble zwei Tage im Kloster um Ideen zu sammeln. Wir haben, ohne Instrumente, von morgens 9 Uhr bis abends durch geredet und diskutiert, was wir uns wünschen von und mit Garage, was wir künstlerisch und musikalisch für Vorstellungen haben und wie wir die auf einen Nenner bringen können. Neun Garagies, neun Meinungen! Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung, im Kollektiv künstlerisch was auf die Beine zu stellen, aber ich bin sicher: Dienächsten Jahre werden bestimmt spannend für Garage und unser Publikum!
Frau Musica Nova | Do 3.11. | Deutschlandfunk
„intim“ | Mi 23.11. | Severinstraße 194 | www.ensemble-garage.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Spiel mit dem Klang
„Trioesque“ in der Deutzer Brücke – Kunst 08/22
Musik für und in Köln
Die Klangsucher erforschen die Domstadt – Klassik am Rhein 05/19
Aus der Fabrik in den Alltag und umgekehrt
Der April mit dem Ensemble Musikfabrik – Musikporträt 04/19
Aufbruch durch die Migration
Das Forum neuer Musik in Köln – Musik 04/19
Die Orgel als Tor zur Welt
Dominik Susteck sorgt für Neue Musik in St. Peter – Musikporträt 04/19
Ein Rhythmus mit Filzstiften
Karlheinz Stockhausen in der Villa Zanders – Kunstwandel 12/18
Kultureller Zusammenprall
Mauricio Kagels „Mare Nostrum“ im Staatenhaus – Oper 10/18
Musikalische Messpunkte
1. Deutsches Stromorchester kratzt am 51. Breitengrad – das Besondere 09/18
Brennende Welt
„Die Soldaten“ an der Oper Köln – Oper 05/18
Der Klang von Pjöngjang
Das mœrs festival 2018 – das Besondere 05/18
Besonderes Jubiläum
Festival Acht Brücken findet zum achten Mal statt – Klassik am Rhein 04/18
Wellen des Aufstands
19. Forum neuer Musik in Köln – das Besondere 04/18
Befreiung durch Verwandlung
Laura Totenhagen im Stadtgarten – Musik 11/24
Zurück zur Straßenmusik
Dan & Dota in der Kantine – Musik 11/24
Noise, Rap und Migration
Zwischen Bühne und Buchdeckel – Unterhaltungsmusik 11/24
Endlich Wochenende
13. Week-End Fest im Stadtgarten – Musik 10/24
Psychedelische Universen
Mother‘s Cake im Helios 37 – Musik 10/24
Aggressive Dringlichkeit
Internationale Acts von Rock über Hip Hop bis Avantgarde – Unterhaltungsmusik 10/24
Eine Party für die Traurigen
Romie in der Maulvoll Weinbar – Musik 09/24
Heftiger Herbstauftakt
Nach Open Air wieder volles Programm in Clubs und Hallen – Unterhaltungsmusik 09/24
Kein Bock auf Sitzkonzert
Mdou Moctar im Gebäude 9 – Musik 08/24
Sommerloch? Nicht ganz ...
Volle Packung Drum‘n‘Bass, Indie, Tuareg-Blues und Black Metal – Unterhaltungsmusik 08/24
Fette Beats im Wohngebiet
Green Juice Festival 2024 in Bonn – Musik 07/24
Vielfalt, Frieden und Respekt
3. Ausgabe von Shalom-Musik.Koeln – Musik 07/24
Die Ruhe im Chaos
Emma Ruth Rundle in Köln und Bochum – Musik 07/24