Viele Mädchen schreiben Tagebuch – ihres wurde weltberühmt. Heute ist „Das Tagebuch der Anne Frank“ das meistgelesene Buch zum Holocaust. Das jüdische Mädchen verfasste es von Juni 1942 bis August 1944, während es sich mit seiner Familie in einem Amsterdamer Hinterhaus vor der NS-Verfolgung versteckte. Sie vertraute den Seiten ihre Gedanken, Sorgen und Hoffnungen an. Ihre Einträge verfasste sie als Briefe an eine imaginäre Freundin, die sie mit „Deine Anne“ unterzeichnete.
„Wir zeigen bereits zum vierten Mal eine Ausstellung über Anne Frank“, berichtet Dr. Werner Jung, Direktor des NS-Dokumentationszentrums. „Die Niederschrift des kecken, jungen Mädchens ermöglicht einen intensiven, eindringlichen Zugang zur Thematik, besonders für Jugendliche.“
In der Ausstellung wird einerseits die persönliche Geschichte von Anne Frank und ihrer Familie gezeigt, andererseits werden Fragen zu Identität, Gruppenzugehörigkeit und Diskriminierung in heutiger Zeit gestellt. Sie wurde vom Anne Frank Zentrum e.V. in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Anne-Frank-Haus in Amsterdam organisiert. Ersteres nutzt Peer-Education als didaktische Methode, um vor allem Jugendliche anzusprechen.
„In einem zweitägigen Seminar werden Peer Guides ausgebildet, die Schulklassen begleiten sollen“, erläutert Jakob Eichhorn, Seminarleiter der Jugendbildung im Anne Frank Zentrum. „SchülerInnen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren lernen die historischen Themen sowie den aktuellen Teil der Ausstellung kennen. Auch erhalten sie pädagogische Anleitung. Jeder entwickelt dann aus den Inhalten seinen eigenen roten Faden.“ Im Seminar macht jeder eine Probeführung und erhält Feedback.
„Für die Jugendliche ist es eine positive Erfahrung, vor einer Gruppe zu stehen und zu erklären“, berichtet Jakob Eichhorn. Insgesamt 90 Interessenten hatten sich beim NS-Dok gemeldet, 40 wurden nun geschult. „Wir hatten mit nur 30 Anmeldungen gerechnet“, erzählt Werner Jung. „Der Bedarf an Führungen ist enorm. Schulklassen können sich über unsere Webseite melden und erhalten einen Termin.“
Die seit 2011 bestehende Ausstellung „Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ tourt durch ganz Deutschland. „Wir sind in Gemeinden, Schulen und auch in JVAs“, erklärt Jakob Eichhorn. Die Schau enthält neben zahlreichen Exponaten und einem Querschnitt des Amsterdamer Hauses auch den einzigen Film, auf dem Anne Frank zu sehen ist. Bei einer Hochzeitsfeier im Vorderhaus schaute das Mädchen aus dem Fenster, um einen Blick auf das Brautpaar zu erhaschen. Zufällig wurde sie von einer privaten Kamera aufgenommen. Außerdem gibt es einen „Gedankenraum“, in dessen Dunkelheit die Besucher Tagebuch-Ausschnitte hören und auf sich wirken lassen können. „…werde ich jemals Journalistin und Schriftstellerin werden? Ich hoffe es, ich hoffe es so sehr! Mit Schreiben kann ich alles ausdrücken, meine Gedanken, meine Ideale und meine Phantasien“, schrieb Anne Frank am 5. April 1944 in ihr Tagebuch.
Anfang August 44 wurde die Familie mit vier weiteren Untergetauchten verraten und verhaftet. Anne kam mit ihrer Mutter und Schwester ins KZ Auschwitz, wo ihre Mutter starb. Ihre Schwester und sie wurden ins KZ Bergen-Belsen transportiert, wo sie vermutlich Februar 1945 an Fleckfieber starben. Lediglich der Vater Otto Frank überlebte. Er erhielt Annes zurückgelassenes Tagebuch von der Helferin Miep Gies und veröffentlichte es 1947. Bereits in den 1950ern wurde es zum meistverkauften Taschenbuch und meistaufgeführten Bühnenstück in Deutschland. Es wurde mehrfach verfilmt und ist in über 70 Sprachen übersetzt. 2009 wurde es von der UNESCO in das Weltdokumentenerbe aufgenommen.
Zur Ausstellung gibt es Begleitveranstaltungen mit Historikern und Zeitzeugen, so auch Anne Franks bester Freundin, der 89-jährigen Jacqueline van Maarsen (17.5. 19 Uhr). Am 24.5. um 19 Uhr eröffnet parallel die Ausstellung „Wohnungslose im Nationalsozialismus“. Dr. Werner Jung begleitet am 6.6. um 20 Uhr die Sondervorführung von „Die Unsichtbaren“ in der Reihe „Grünes Kino“ in der Filmpalette.
„Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte“ | bis 1.7., Di-Fr 10-18, Sa, So 11-18 Uhr | NS-Dokumentationszentrum im EL-DE-Haus | Webseite | 0221 22 12 63 32
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